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Tochter der Insel - Historischer Roman

Tochter der Insel - Historischer Roman

Titel: Tochter der Insel - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Oltmanns
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schmiegten sich in die windgeschützten Sandmulden, Möwen schrien hoch am Himmel.
    Lea wies nach oben. »Weißt du noch, Immo, wie wir beide der kranken Ottilie den Flügel geschient haben?«
    »Die Möwe Ottilie! Den ganzen Sommer über mussten wir sie füttern. Und dann, eines Tages, ist sie davongeflogen. Doch Ottilie kehrte immer wieder zurück, ließ sich auf deiner Schulter nieder und zerzauste dir mit dem Schnabel das Haar.«
    »Und unsere Ausritte an den ersten warmen Frühlingstagen. Wenn die Pferde der Kutscher wie verrückt waren vor Freude, kannst du dich daran noch erinnern? Wir hatten Angst, dass sie uns abwerfen und wir ins Wasser fallen könnten. Und weißt du noch, wie Rebekka, du und ich an den heißen Sommertagen gemeinsam im Meer gebadet haben? Weit entfernt von den Stränden der Gäste. Immer mit der Angst im Nacken, jemand könnte uns entdecken, sehen, dass wir den Anstand nicht wahrten.«
    »Rebekka hat ihr Haar dem Wind überlassen, aber du hast selbst im Wasser immer diesen riesigen zerfledderten Strohhut getragen. Und einmal hat sich ein ganzer Schwarm Schmetterlinge darauf niedergelassen.« Immo lachte bei der Erinnerung daran, wurde aber unvermittelt wieder ernst. Er blieb stehen, griff nach Leas Händen und stellte erstaunt fest, dass sie zitterten.
    »Warum erinnerst du mich an all das, Lea?«
    »Du bist enttäuscht darüber, dass ein Leben mit Carlotta nicht möglich ist. Aber vielleicht ist sie einfach nicht die Richtige für dich. Weißt du, was Herzensnähe bedeutet?«
    Er schüttelte den Kopf. Lea stand ganz dicht vor ihm und lächelte. Doch ihre Augen blickten ernst.
    »Es bedeutet, tiefe Gefühle für einen anderen Menschen zu hegen. Gemeinsam lachen und schweigen zu können, sich der Verbundenheit des anderen ganz sicher zu sein. Diese Herzensnähe spüre ich zwischen uns beiden. Immer schon. Ich liebe dich, so lange ich denken kann, Immo!«
    Ihre Worte trafen ihn wie ein Schlag. »Ich möchte nicht, dass du mich liebst. Du bist Lea, ein Teil meines Lebens. So wie die Insel und das Meer. Wir beide sind Freunde, die besten, die man sich vorstellen kann.« Er umfasste sanft ihre Schultern und schüttelte den Kopf. »Lass alles zwischen uns so bleiben, wie es ist, bitte. Ich könnte etwas anderes jetzt nicht ertragen.«
    »Alles verändert sich, Immo. Ich wollte dir meine Liebe nicht gestehen, doch nun ist es geschehen und ich kann die Worte nicht mehr zurücknehmen.«
    »Warum musstest du dich überhaupt in mich verlieben?«
    Er sah, wie sie schluckte. Wie sie mit den Tränen kämpfte. »Es scheint mein Schicksal zu sein. Ich konnte nicht davor weglaufen. Meine Liebe zu dir ist beständig. Sie ist ein Teil von mir, wie mein Herzschlag.«
    »Ich bin ganz wirr im Kopf.« Immo bückte sich und nahm gedankenverloren eine Hand voller Sand auf und ließ sie durch die Finger rieseln. Er betrachtete Lea. Sie sah so jung und verletzlich aus. Eine dunkle Haarlocke fiel nach vorne und verbarg ihr Gesicht. Immo merkte, dass er sich in einem Gewirr aus widersprüchlichen Gefühlen verfing. Er wünschte sich, Lea in die Arme zu nehmen, doch er konnte sich nicht rühren. Ihre Freundschaft, ihre gemeinsamen Erlebnisse – all das schien weit entfernt zu liegen. Ihre Worte hatten eine unüberwindliche Hürde zwischen ihnen aufgebaut.
    Schließlich sagte sie: »Ich werde fortgehen, bald schon. Es gibt etwas, das du wissen musst. Ich habe Briefe von Rebekka erhalten und möchte zu ihr nach Amerika fahren.«
    Lea schob sich die Haarlocke aus dem Gesicht und blickte ihn an. Sie schien auf etwas zu warten, doch Immo wusste nicht, auf was.
    Er versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Rebekka! Über sie konnte er sprechen. »Wie geht es ihr? Warum hat sie so lange nichts von sich hören lassen?«
    »Sie hat mir geschrieben, Immo, oft. Doch Großmutter hat all ihre Briefe versteckt. Du kannst dir denken, warum. Gestern erst habe ich sie gefunden und in der Nacht gelesen. Rebekka lebt auf einer Farm und scheint dort sehr einsam zu sein. Ach Immo, ich wünsche mir nichts sehnlicher, als sie wiederzusehen.«
    Immo klammerte sich an das Gespräch über Rebekka wie an einen Strohhalm. »Vielleicht ist es gut für dich, die Insel für eine Weile zu verlassen. Besuche Rebekka, lerne ein anderes Land kennen und neue Leute. Deine Großmutter ist vermögend gewesen. Nimm dir einen Teil des Erbes und entdecke die Welt, Lea.«
    »Das werde ich.«
    In ihren großen Augen spiegelte sich eine unendliche Traurigkeit.

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