Tochter der Insel - Historischer Roman
bestellten Bräute wurden von einem Pastor in Empfang genommen.
»Folgen Sie mir. Ihre Zukünftigen warten im Hafengebäude«, trieb er seine Schäfchen an.
Bell winkte Lea. »Komm. Ich will einen Blick auf die Männer werfen, denen unsere Täubchen zufliegen. Danach müssen wir uns eine Unterkunft besorgen.«
»Ich habe mich entschlossen, morgen in aller Frühe eine Passage auf einem der Flussdampfer zu buchen. Rebekka schreibt, dass man mit ihnen den Mississippi hinauf bis nach St. Louis fahren kann.« Lea versuchte, nicht zu traurig zu klingen.
Bell sah sie mit einem schelmischen Ausdruck an. »Und ich habe mich entschlossen, dich bis nach St. Louis zu begleiten. Mich quält der Gedanke, dass dieser verdammte Neumann mir seine Bluthunde bis nach Amerika hinterherschicken könnte. In jeder Stadt gibt es Theater und Saloons. Überall wollen die Männer schöne Frauen sehen und Karten spielen. Warum sollte ich also schon in New Orleans meine Zelte aufschlagen? Was sagst du dazu?«
»Ach Bell! Das ist die beste Neuigkeit des Tages!«
»Ihr habt es gut! Unser Abenteuer ist erst einmal zu Ende«, wisperte Wilhelma.
»Wie man’s nimmt«, rief eine ihrer Begleiterinnen.
Lea sah die kleine Gruppe wartender Männer schon von Weitem. Eine gewisse Unruhe ging von ihnen aus. Einige scharrten verlegen mit den Füßen, während andere vor Neugierde die Hälse reckten.
Ein blonder Riese steuerte zielgerade auf Wilhelma zu. Seine helle Haut war von der Sonne gebräunt, und das Hemd spannte sich unter seinen Muskeln. Er verbeugte sich leicht.
»Blond, rundes Gesicht und unglaublich gut gebaut! Nach der Beschreibung glaube ich, dass wir einander versprochen sind.«
Wilhelma lachte laut auf. »Das war die netteste Umschreibung für meine Körperfülle, die ich je gehört habe.«
Der junge Mann stimmte in das Lachen ein und streckte ihr eine Hand entgegen. Bald waren beide in ein angeregtes Gespräch vertieft.
Lea und Bell hielten sich etwas abseits und beobachteten, wie der Pastor den Männern die jeweilige Braut zuwies. Mit mehr oder weniger fröhlichen Gesichtern fügten sich die Pärchen in ihr Schicksal. Sie winkten Lea und Bell zum Abschied und waren bald ihren Augen entschwunden.
Nachdem sie ein Quartier gefunden und etwas gegessen hatten, beschlossen Lea und Bell einen Spaziergang zu machen. Die Straßen der Stadt waren schlecht gepflastert, die Fußwege aber akzeptabel. Ihren Augen und Ohren bot sich eine erstaunliche Mischung aus Sehenswürdigkeiten und seltsamen Geräuschen. New Orleans strotzte vor Leben, hatte die prächtigsten Häuser, Gebäude mit hohen Fenstern und Balkonen, aber auch die ärmlichsten Hütten.
Tagsüber fand Lea die Stadt in gewisser Weise schön, doch als sie sich auf Bells Bestreben abends erneut aufmachten, durchflutete eine Erregung New Orleans, die sie befremdete. Obwohl sie in der Nähe des Wassers waren, gab es hier nichts, was sie an Abende auf Wangerooge erinnerte. Kein beruhigendes Wellenrauschen und keine frische reinigende Brise von See her, die alles wieder ins richtige Lot brachte. Hier pulsierte eine andere Art von Leben. New Orleans schien auch in der Nacht rastlos zu sein.
Die Luft war schwer und von allerlei fremden Düften erfüllt. Kutschen ratterten über die Wege aus Kopfsteinpflaster und hielten vor eleganten Theatern und Casinos. Ihnen entstiegen Frauen in glitzernden Abendroben, deren Schmuck im Licht der Laternen funkelte. Edel gekleidete Herren griffen nach ihren Armen und führten sie in die Etablissements. Musik drang bis nach draußen.
Türen öffneten sich, und Lea konnte das Innere des Theaters erkennen. Dicke Teppiche bedeckten den Boden, Kronleuchter spendeten ein warmes Licht. Glitzernde Kristalle blitzten im Schein der Lampen. Gemälde mit üppigen Schönheiten hingen an den Wänden.
Bell wies unauffällig auf eine der Frauen, die direkt an ihnen vorbeischritt, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Sie bewegte sich mit einer natürlichen Anmut und war prachtvoll gekleidet. Ihr Gesicht war nicht weiß.
»Außergewöhnliche Schönheiten, nicht wahr? Ich glaube, man nennt sie Quarteronen. Über ihr zartes Weiß zieht das Negerblut einen verführerischen Schatten. Dazu diese großen dunklen Augen und das tiefschwarze Haar. Auf dem Schiff habe ich die Männer von ihnen reden hören. Dieser Frauen sollen die teuersten Gespielinnen in New Orleans sein.«
Lea spürte, wie sie rot wurde. Eine scheue Befangenheit griff nach ihr. Diese Welt war ihr
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