Tochter der Insel - Historischer Roman
Teppichen aus Wildblumen in allen Farben. Ab und zu flog ein Vogel auf, doch ansonsten regte sich nichts. Selbst am fernsten Horizont war keine Bewegung auszumachen.
Lea hatte ein flaues Gefühl im Magen. Sie war mitten in der Wildnis! So fern von New Orleans und den Schiffen, die nach Hause fuhren, dass sie den Rückweg niemals alleine finden würde. Kannte Hardy sich hier wirklich aus?
Ihr Blick verlor sich in der Ebene und mit einem Mal vergaß sie das Rollen und Knarren des Ochsenwagens, vergaß auch ihre Trauer. Plötzlich war es ihr, als könne sie den Atem der Prärie in all der Stille wahrnehmen. Sie spürte, wie das Schweigen zunahm. Konnte man in der endlosen Einsamkeit der Prärie verloren gehen? Wollte sie das?
»Mädchen, bist du eingeschlafen?« Hardy rüttelte sie am Arm.
»Nein. Ich habe nur vor mich hin geträumt.«
»Du darfst nicht so lange in die Ferne starren.«
»Warum nicht?«
»Die Prärie packt einen. Ich kann es nicht erklären, aber es ist so. Kann einen verrückt werden lassen, diese Stille.«
»Das begreife ich nicht.«
»Die Schwermut der Prärie setzt sich einem ins Hirn. Ich habe gemerkt, wie erschrocken du gerade warst, als ich dich wachrüttelte. Völlig weggetreten.«
»Ja, ich habe einfach an gar nichts mehr gedacht. Nicht an Quincy, nicht an mein Ziel, nicht an … « Sie brach ab.
»Siehst du! Die Prärie kann machen, dass der Kopf leer wird – und bleibt.«
Gegen Abend schoss Hardy ein Kaninchen. Er fachte rasch ein kleines Feuer in einem Kreis aus Steinen an und briet das Tier darüber. Als es dunkler wurde, hängte er eine Laterne an die Wagendeichsel. Dann erhitzte Hardy Wasser und warf für einen Tee getrocknete Blätter aus einem Beutel hinein. Die Ochsen hatte er in der Nähe angebunden und das Geschirr unter den Wagen gelegt. Nach dem Essen baute der alte Mann einen Unterstand aus Stangen und Planen auf und zauberte zwei Matratzen aus grobem Sackleinen hervor, die mit Gras gefüttert waren.
»Für meine Gäste nur das Beste!«
Im trüben Licht der Laterne sah sie, dass er lächelte. Der Abendwind spielte mit dem Feuer und ließ Funken aufstieben.
Hardy nahm eine Rolle Kautabak aus den Tiefen seiner Taschen und biss ein Stück davon ab. Er kaute eine Zeit lang darauf herum und spuckte den Saft schließlich in einem weiten Bogen an einem der Ochsen vorbei ins Gras.
»Ich habe dich schon mal gesehen. Hab gestern den ganzen Tag darüber nachgedacht. Ist schon einige Zeit her, da bist du mit dem Schwarzen Pit und seinem Gespann durch die Prärie gefahren. Ich kam von Quincy, wir sind uns auf halber Strecke begegnet«, sagte er schließlich bestimmt.
Lea zuckte zusammen. Er musste Rebekka meinen. Während Lea noch überlegte, nahm ihr der Alte die Entscheidung ab. »Hab mir zusammengereimt, dass du die junge Frau von dem Arne auf der Farm bist. Man erzählt sich in Quincy, dass er dich mitgebracht hat von irgendeiner fremden Insel und dass du nicht glücklich bist. Vielleicht ist er es auch nicht. Hätte sich ja sonst nicht aufgemacht und für den Präriehandel anheuern lassen. Der Bursche ist eigentlich ein feiner Kerl, doch manchmal reitet ihn der Teufel. Du hast nach ihm gesucht, was?«
Lea schüttelte den Kopf, doch Hardy schien ihr nicht zu glauben. »Musst dich dafür nicht schämen. Gefunden hast du ihn jedenfalls nicht. Darum kann ich auch kein Lachen auf dein Gesicht zaubern.«
Er schien keine Antwort zu erwarten und nickte zu seinen eigenen Worten. »Und du hast ein Kind erwartet damals. Der Schwarze Pithat davon erzählt, als ich ihn das letzte Mal getroffen habe. Es war noch nichts zu sehen, doch er hat’s erraten, weil du den Duft von gebratenem Fleisch nicht riechen konntest.«
Lea zuckte zusammen. Hardy sah es und strich ihr sanft über den Arm. »Hast das Kind verloren, genauso wie seinen Vater. Manche Männer sind so. Sie taugen nicht zu Ehemännern und zu Vätern. Sind rastlose Abenteurer und erkennen erst am Ende ihrer Zeit, was sie verpasst haben. Ich bin auch einer von denen. Nur dass ich nicht da sein kann, wo viele Menschen sind. Mich treibt es immer in die Einsamkeit der Prärie, hierher, wo die Weite wohnt. War mal verheiratet, doch mein Weib brauchte Leben um sich. Andere Frauen zum Glucken, den Pastor, der ihr sagte, wo es langgeht. Ist gut, dass keine Kinder gekommen sind. So konnte jeder seiner Wege gehen. Es ist vielleicht kein Trost, aber ein Kind ohne Vater, das ist nicht recht. Aber das hilft dir auch nicht, oder?«
Lea
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