Tochter der Insel - Historischer Roman
bald der Kopf von all seinen Erklärungen.
»Das Achsenrad hat einen Umfang von zwölf Fuß«, sagte Toni gerade, als Lea in einiger Entfernung einen Reiter ausmachte.
»Ach, da kommt Joris. Vielleicht will er mir helfen. Der Kerl hat es fast so eilig wie ich, dieses Kunstwerk fertigzustellen. Aber ich denke, zunächst ist es Zeit für eine Tasse Tee.«
Der Reiter war tatsächlich Joris. Er bedachte Lea mit einem langen misstrauischen Blick, bevor er sich Toni zuwandte. »Ihr habt euch bekannt gemacht.« Es war mehr eine Feststellung als eine Frage und Joris ließ keinem von beiden Zeit zum Antworten. »Toni, morgen kommen einige Burschen aus dem Dorf, um zu helfen. Wir müssen sehen, dass die Mühle vor dem Winter noch steht«, sagte er barsch, wandte abrupt das Pferd und ritt davon.
»Mir scheint, es passt ihm nicht, dass ich hier bin.«
Toni kniff den Mund zusammen. »Ich arbeite hart für das, was er mir zahlt, und habe eine lange Reise auf mich genommen, um hierherzukommen. Joris wird den Lohn vielfach wieder einstreichen, wenn er es klug anstellt. Die Siedler werden durch seine Mühle unabhängiger. Niemand muss mehr zur Wassermühle am Crooked Creek nach Quincy oder Brooklyn fahren.« Dann zuckte er die Schultern. »Ach, wer weiß, was ihn geritten hat. Komm, Lea, ich zeige dir meine bescheidene Bleibe und dann trinken wir einen Tee.«
Toni öffnete die Tür und schlug eine Decke zur Seite, die innen am Eingang hing. Lea nahm unbewusst den Geruch des Raumes nach Leder und Holz in sich auf. Der Mühlenbauer zündete eine Lampe an und stellte sie auf den Tisch. Die Möbel waren eine Ansammlung aus zusammengezimmerten Holzkisten, doch der Tisch und die Bank davor waren kunstvoll geschnitzt. Eine dicke Decke diente als Sitzpolster und auf dem Tisch lag ein Tuch. Über dem Herd in einer Ecke des Raumes war ein Regal angebracht, auf dem Töpfe und Pfannen standen. Der Fußboden war nichts als festgestampfte Erde.
Später, als sie langsam den Weg wieder zurückging, dachte Lea über die Mühle nach. Der Bau faszinierte sie. Das Kunstwerk an und für sich, aber auch die Vorstellung, dass mit dem Windfänger hier, mitten in der Prärie, Korn gemahlen werden konnte. Fast glaubte sie, die fertige Mühle schon vor sich zu sehen. Ein Prachtstück mit grauweißen Segeln unter blauem Himmel.
5
Z wei Wochen war Lea jetzt schon auf der Farm. Sie musste zugeben, dass alles viel besser klappte, als sie anfangs befürchtet hatte. Mit Toni und den wenigen anderen Arbeitern, die für Joris tätig waren, verstand sie sich prächtig. Aus ihm selbst wurde Lea nicht schlau. Manchmal ignorierte er sie, dann wieder nahm Lea seine beobachtenden Blicke wahr. Gelegentlich schien es, als wolle er eine Frage stellen, verkniff sich dies aber im letzten Moment. Lea versuchte, seinen Argwohn ihr gegenüber zu ignorieren. Sie ging ihm so weit wie möglich aus dem Weg. Selten einmal trafen sie sich zum Frühstück in der Küche oder zum Abendessen.
An den Alltag auf der Farm gewöhnte Lea sich rasch. Die Einsamkeit der Tage störte sie wenig. Es waren die Nächte, die sie fürchtete. Häufig wachte sie schweißgebadet auf. In ihren Träumen irrte sie in der Fremde umher oder Ferdinand Gärber verfolgte sie. In solchen Nächten begann Lea unweigerlich zu grübeln. Darüber, wie lange sie noch bleiben sollte und was geschehen würde, wenn Arne zurückkäme. Manches Mal kroch sie verzweifelt unter die Bettdecke und wartete sehnsüchtig auf den nächsten Morgen.
Nach solchen Nächten stürzte sie sich am Morgen mit doppeltem Eifer in die Arbeit. Schon am Tag nach ihrer Ankunft hatte Lea die Ställe beim Haus zu ihrem Revier erkoren. Sie kümmerte sich um das Melken der Kühe, gab den Tieren zu fressen und schüttete Hafer und geschnittene Möhren in Futterkrippen. Lea verbrachte Stunden damit, gefüllte Wasserbehälter von der Pumpe zum Auslauf des Federviehs zu tragen. Die Hühner legten so gut, dass Hardy jedes Mal, wenn er die Farm anfuhr, Eier mit ins Dorf zu Bills Laden nehmen konnte. Abends war Lea oft so müde, das sie nicht einmal die Zeit fand, sich richtig zuzudecken. Doch gerade diese Nächte, in denen sie tief und ruhig schlief, waren ihr die liebsten.
Da Arbeit das Einzige war, was Lea von der Trauer und den schlaflosen Nächten ablenkte, schaffte sie in kürzester Zeit viel. Sie grub ein Stück Land um und umgab es mit einem kleinen Wall, wie sie es von Wangerooge her kannte. Sie pflanzte Gemüse an und setzte Kartoffeln. Das
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