Tochter der Insel - Historischer Roman
und lächelte. »Beim Anblick des Whiskys muss ich an Arne denken. Hat er dir eigentlich erzählt, wie es ihm nach dem Kauf unserer ersten Schafe ergangen ist? Dass er sich bei der Rückreise den Mississippi hoch im stillgelegten Boiler eines Dampfschiffes versteckt hat, um einigen tollwütigen Mitreisenden zu entgehen, die ihn erschießen wollten?«
Lea schüttelte den Kopf.
Joris nahm einen tiefen Schluck, schüttelte sich leicht und setzte dann sein Glas vorsichtig ab. »Es war in unserem zweiten Jahr hier in Illinois. Wir sind nach St. Louis gefahren, um uns mit einem Viehhändler zu treffen. Es ging um Schafe und alles lief wunderbar. Der Handel klappte, nur die Anzahlung war höher als erwartet. Arne und ich mussten all unser Geld dort lassen. Es war Februar, bitterkalter Winter. Auf der Rückfahrt nach Quincy fror der Mississippi nach einem plötzlichen Kälteeinbruch zu und unser Schiff blieb im Eis stecken. Es ging nicht vor und nicht zurück. Die Männer an Bord beschlossen, sich mit Alkohol zu wärmen und zu diesem Zweck jemanden an Land zu schicken, um bei einem der umliegenden Farmer ein Fass Whisky zu kaufen. Einen Dollar sollte jeder Reisende dazu beitragen.
Aus Geldmangel konnten Arne und ich uns nicht beteiligen. Die anderen trieben ihre Scherze mit uns, nannten uns Geizhälse und Spaßverderber und ich muss sagen, wir beneideten sie in der Kälte um den Alkohol. Doch als das erste Fass geleert war und die meisten schon halbwegs betrunken, da wurde erneut gesammelt. Wieder machten wir nicht mit und unsere Mitgenossen taten sich schwer, das Geld für ein zweites Fass zusammenzubringen. Der Whisky hatte die Zungen gelöst und jetzt war es nicht nur mehr das Wort ›Geizhälse‹, das an unsere Ohren drang.
Arne wollte sich die Beleidigungen nicht länger bieten lassen und schnell brach ein Streit vom Zaun. Einer der Betrunkenen, ein feister rotgesichtiger Einwanderer aus Franken, drohte Arne umzubringen, wenn er nicht zwei Dollar auf den Tisch legte. Das war die Summe, die zum Kauf des Fasses noch fehlte. Der Kerl meinte es ernst und machte sich auf den Weg, seine Pistole zu holen. Es war einer jener hitzigen Typen, denen man es durchaus zutrauen konnte, einen Fremden für zwei Dollar zu erschießen. Arne geriet in Panik.
Mir fiel zum Glück der stillgelegte Kessel ein und so versteckte sich mein Bruder zwei Tage darin. Immer wenn ich ihm heimlich Essen zusteckte, bekam ich seine Flüche zu hören, die mir und den Schafen galten, denen er die Schuld an seiner Lage gab. Die anderen hatten doch noch das Geld zusammengebracht und tranken, solange das Schiff im Eis feststeckte. Ich sah, dass es noch tagelang dauern konnte, bis der Dampfer wieder flott war, und befreite Arne in der zweiten Nacht aus seinem Gefängnis. Es war Vollmond, wir schlichten uns heimlich von Bord und kamen über das Eis problemlos zum Ufer.
Zu Fuß wanderten wir am Mississippi entlang, um den Weg nicht zu verlieren. Schließlich kam zu unserer großen Erleichterung Quincy in Sicht. Zwei Tage arbeiteten Arne und ich in einer Schmiede, um das Geld für die weitere Reise zusammenzubringen. Als wir gerade unser Gepäck in Pits Ochsenkarren warfen, hörten wir die Glocke des Mississippidampfers. Wir hüllten uns beide in Wolldecken, damit uns nicht im letzten Augenblick der schießwütige Franke doch noch erwischen würde.« Die Erinnerung hatte seine Züge weich werden lassen.
»Unglaublich. Welch hart erkämpfte Schafe!«
»Sie sind jeden Heller wert. Ich habe meinen Entschluss niemals bereuen müssen.«
»Wie seid ihr eigentlich darauf gekommen, es ausgerechnet mit Schafen zu versuchen?«
Joris warf ihr einen erstaunten Blick zu. »Mein Gott, weißt du eigentlich nichts von deinem Mann und seiner Familie? Was habt ihr all die Zeit über getan? Geredet vermutlich nicht.« Er lachte spöttisch.
Lea blickte zu Boden und verfluchte ihre Unvorsichtigkeit.
Joris schien keine Antwort auf seine Frage zu erwarten. »Unsere Familie hat in der alten Heimat schon seit Generationen Schafe gezüchtet. Ich kenne mich also damit aus. Für einen Veterinär gibt es nicht genug Arbeit hier und so fiel die Entscheidung schnell. Mein Vater nutzte für die Zucht überwiegend Heidschnucken. Die Tiere sind unverwüstlich und wurden in Ostfriesland zur Kultivierung der Moorlandschaft eingesetzt. Gerade für die großen sandigen Heideflächen waren sie ein Segen. Es ist eine ganz ähnliche Sorte Schafe, für die Arne und ich in besagtem Winter
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