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Tochter der Schatten - Vara, M: Tochter der Schatten

Tochter der Schatten - Vara, M: Tochter der Schatten

Titel: Tochter der Schatten - Vara, M: Tochter der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mona Vara
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stellte sie den leeren Kaffeebecher auf den Tisch, setzte die Brille auf und lief ins Schlafzimmer ihrer Mutter. Sie hatte ihre Sachen bisher nicht angerührt, sondern nur die nötigen Dokumente herausgesucht, aber heute war der richtige Tag, um in der Vergangenheit ihrer Mutter und damit auch in ihrer eigenen zu kramen.
    Camilla hatte ihre ganz persönlichen Sachen in einem alten Koffer unter dem Bett aufbewahrt. Gabriella kniete hin und zog ihn hervor. Sie blies kleine Staubwölkchen von seiner Oberfläche, bevor sie ihn hochhievte und auf das Bett warf. Mit zwei entschlossenen Griffen öffnete sie die Klappen und kippte den Deckel auf.
    Sie wusste zwar nicht genau, was sie erwartet hatte, aber auf den ersten Blick sah der Inhalt enttäuschend unspektakulär aus. Ausgeschnittene Zeitungsmeldungen, Kartonmappen, einige lose daraufliegende Ansichtskarten. Gabriella drehte sie herum und erkannte die Schriftzüge ihrer Großmutter, sorgfältig und zierlich, etwas altmodisch, wie die Leute früher geschrieben hatten. »Mia cara … Bacci …« Gabriella studierte die Handschrift, die Orte, von denen die Karten kamen, den Inhalt. Die Karten sagten nicht viel aus, außer dass ihre Großeltern nur sehr wenig gereist waren. Kein Wunder, wenn man ein Ristorante besaß, war Urlaub Luxus.
    Noch zwei Briefe, in derselben feinen Handschrift. Gabriella zögerte nicht, sie zu lesen. Die Briefe stammten aus der Zeit kurz nach Gabriellas Geburt. Ihre Großmutter hatte sich für das Foto der Kleinen bedankt und gehofft, sie bald selbst im Arm halten zu können. Soviel Gabriella wusste, war das nie der Fall gewesen. Ihre Großeltern waren gestorben, ehe Camilla mit ihrer Tochter nach Venedig zurückgekehrt war.
    Unter den Kartonmappen kam eine kunstvoll geschnitzte Holzschatulle zum Vorschein. Gabriella war sich kaum bewusst, dass sie den Atem anhielt, als sie sie aufklappte. Ihr Blick fiel sofort auf ein Kristalldöschen, durch das eine getrocknete Rose schimmerte. Von ihrem Vater? Würde der »Todesengel« denn überhaupt Rosen schenken?
    Ein Halstuch, das sie nie an ihrer Mutter gesehen hatte, lag unter der Dose. Und das waren dann auch schon alle Schätze. Kein Wort über ihren Vater. Nichts. Als gäbe es ihn überhaupt nicht. Auf ihrem eigenen Geburtsschein stand: Vater unbekannt. Sie biss sich auf die Lippen, während ihr die Tränen über die Wangen liefen. Sie wischte sie nicht weg. Sie putzte sich auch nicht die Nase, sondern wischte trotzig mit dem Ärmel darüber und schniefte auf.
    »Einer der Todesengel …« Jedes Mal kroch es ihr kalt den Rücken entlang, wenn sie an diese Worte dachte. Konnte sie diese Männer deshalb sehen, weil ihr Vater einer von ihnen war? Oder litten sie und ihre Mutter unter derselben Geisteskrankheit? Dieser Gedanke machte ihr erst richtig Angst.
    Sie setzte sich neben den Koffer auf das Bett und nahm sich die Zeitungsartikel vor: Alle handelten von unerklärlichen und unaufgeklärten Todesfällen. Die Opfer sahen aus, als wäre ein wildes Tier über sie hergefallen, die Mörder konnten jedoch nie gefasst werden – es schien, als hätten sie sich in Luft aufgelöst. Und die Todesfälle reichten über … Gabriella blätterte rasch durch … einen Zeitraum von gut zwanzig Jahren. Weshalb hatte ihre Mutter diese Ausschnitte aufgehoben? Hingen diese Vorfälle etwa mit den Todesengeln zusammen? Ein Zeitungsartikel, den sie vor zwei Tagen gelesen hatte, fiel ihr plötzlich ein, weil er diesen hier ähnelte: ein brutaler Mord, aber keine Spur von dem Täter.
    Sie war so vertieft, dass das Geräusch der Türklingel durch ihre Nerven schnitt wie ein Messer. Vor Schreck fielen ihr die Zeitungen aus der Hand, und sie brauchte zwei Atemzüge, bis sie schließlich aufstand. Ihr Herz schlug bis zum Hals, und ihre Knie waren immer noch weich, als sie schon bei der Tür stand und durch den Spion hinauslugte. Zuerst erkannte sie nur eine riesige Sonnenbrille, obwohl es am Gang noch dunkler war als in der Wohnung. Dann machte sie einen gebleichten Haarschopf aus, ein weißes wattiertes Jäckchen mit Pelzbesatz und glänzende schwarze Leggins. Rita.
    Gabriella warf einen desinteressierten Blick in den Spiegel neben der Tür – sie sah furchtbar aus, verschlafen, die Augen vom Weinen ganz gerötet und verschwollen, das Haar zerstrubbelt. Der alte Bademantel war eine einzige Katastrophe. Sie zog ihn fester zusammen und riss die Tür auf. Rita war eine neue Kollegin, die Gabriella vor einigen Wochen regelrecht auf

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