Tochter der Schatten - Vara, M: Tochter der Schatten
wohl sagen würde, wüsste sie, dass ihre Tochter im Begriff war, zu jenen Welten zu reisen, vor denen sie selbst jahrelang geflohen war?
Der Jäger kam noch früher als erwartet. Und sie war froh darüber, denn das Warten hatte schon empfindlich an ihren Nerven gezerrt. Obwohl sie keine Sekunde in ihrer Entscheidung gewankt hatte, hatten sie gelegentlich doch einige Zweifel gepeinigt, die nur von dem heißen Wunsch, Darran wiederzusehen, ausgelöscht geworden waren.
Sie erhob sich, als der Jäger mit diesem kalten, abschätzenden Blick vor ihr stand, griff nach dem schweren Rucksack, zog die bereitliegende Steppjacke mit Kapuze an und nickte ihm zu. »Ich bin bereit.«
»Wenn du durch das Tor gehst, gibt es kein Zurück mehr, ist dir das klar?«
Nein, das war ihr nicht klar gewesen, aber sie musste nicht lange darüber nachdenken. Sie nickte nur. Er ließ seinen Blick über ihre Aufmachung schweifen, hob die Augenbrauen, zuckte dann jedoch nur mit den Achseln und drehte sich um. »Komm mit.«
Gabriella griff hastig nach ihrem Handy, schickte die vorbereitete SMS an Rita ab, legte das Telefon auf den Tisch und folgte dem Jäger.
Zu ihrer Überraschung führte er sie nicht weiter als bis in ihre Diele. Er legte die Hand auf den Türknauf. »Dahinter wird dich jemand erwarten, der dir den Weg zeigt.«
Gabriella musterte ungläubig ihre Wohnungstür. »Das ist ein Tor?«
Er sah sie abfällig an. »Die Tore in eurer Welt sind zahllos, von unserer können sie jedoch nur noch durch ein einziges betreten werden, das von den Schergen deines Vaters bewacht wird.«
»Das heißt, ihr programmiert euer Tor immer mit anderem Ausgang oder Eingang?« Raumschiff Enterprise sei Dank, da konnte sie zumindest mitreden.
Zu ihrem Ärger lachte er verächtlich auf. »Programmieren? Ich weiß nicht, wovon du sprichst, Weib, aber was immer es ist, niemals könnte es der Magie der Alten gleichen.« Mit diesen Worten zog er die Wohnungstür auf.
Anstelle des vertrauten Gangs blickte Gabriella in absolute Schwärze. Sie schluckte und schob sich die rutschende Brille wieder auf die Nase.
Der blonde Jäger sah sie kalt an. »Geh! Du wirst im Palast deines Vaters herauskommen. Aber vergiss nicht: Ab dann bist du auf dich allein gestellt.«
»Warte! Wie finde ich Darran?«
»Der ist leicht zu finden. Und jetzt geh! Das Tor bleibt nicht ewig geöffnet!«
Gabriella trat beklommen auf die Tür zu. Da war nichts dahinter. Kein Schimmern von Kraftfeldern, wie sie das erwartet hatte. Nicht der klitzekleinste Blick auf das, was hinter der Finsternis lag, der ihr ein bisschen Hoffnung machen konnte. Sie steckte die Hand aus – sie verschwand in der Schwärze.
Ihr schauderte, und mit einem Mal war ihr völlig klar: Sie musste total verrückt geworden sein! Hatte vor Liebeskummer völlig den Verstand verloren! Der blonde Typ konnte sie nicht ausstehen – der schickte sie vermutlich tatsächlich auf geradem Weg in die Hölle. Und selbst wenn nicht? Wie sollte sie sich in Darrans Welt überhaupt zurechtfinden? Was ihr bisher noch so leicht erschienen war, scheiterte an dieser beängstigenden schwarzen Bodenlosigkeit vor ihrer Wohnungstür. Ihre Knie begannen zu zittern, weigerten sich, den Schritt über die Schwelle zu tun.
Sie konnte sich doch nicht Hals über Kopf in ein Abenteuer stürzen, das nicht für Leute wie sie gemacht war. Für absolut durchschnittliche Frauen, die weder mit Superwoman noch mit Lara Croft die geringste Ähnlichkeit hatten!
Sie holte tief Luft, wollte sich soeben umdrehen und sagen, dass sie es sich lieber noch ein wenig überlegen wollte, als sie von hinten einen derben Stoß erhielt, der sie durch die Tür und ins Nichts hineinkatapultierte.
***
Gabriella hatte sich bisher ein Portal vorgestellt, durch das man so einfach wie durch ein normales Tor schritt. Tür auf, ein Schritt hindurch, Tür zu, und schon war man im nächsten Zimmer. Oder eben in der nächsten Welt.
Und jetzt stand sie in absoluter Schwärze, mit weichen Knien, rasendem Herzen, schweißgetränkt und in Todesangst. Stimmte es vielleicht doch, was ihre Mutter gesagt hatte: Waren Darran und die anderen Grauen Todesengel? Und ihr Vater so etwas wie der Hüter des Hades? Man sagte, Sterbende wurden durch einen schwarzen Tunnel gezogen, bis sie am anderen Ende das Licht erblickten. Gabriella dagegen erblickte vorerst gar nichts, nicht einmal einen kleinen Hoffnungsschimmer.
Sie machte ein paar Schritte geradeaus. War das überhaupt die richtige
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