Tochter der Schatten - Vara, M: Tochter der Schatten
»Darran?«
»Ja, Darran! Gibt es denn so viele hier?«, fragte Gabriella in scharfem Ton zurück, um ihre Unsicherheit zu überspielen. Sie hätte den blonden Jäger doch genauer befragen sollen.
»Nur den einen.« Der Blick des Mannes wurde gehässig. »Du kannst auf der Rückseite des Palastes nach ihm Ausschau halten.« Er deutete mit dem Kopf in die entsprechende Richtung. »Gut möglich, dass du ihn dort findest.« Er sagte diese Worte mit einem höhnischen Grinsen. »Und jetzt verschwinde.«
Gabriella machte einen Schritt hinaus. Die Tür hinter ihr knallte so heftig zu, dass sie beinahe nach vorn getaumelt wäre. Sie blieb, eng daran gelehnt, mit geschlossenen Augen stehen und atmete tief durch. Dann schob sie sich langsam, Schritt für Schritt, seitwärts weiter, dabei immer wieder sehnsüchtig nach links schielend, wo die Mauer endete. Nur noch zwanzig Schritte. Fünfzehn. Zehn. Nur noch drei.
Sie wollte schon erleichtert aufatmen, als sie ein Windstoß erfasste, der Sand mit sich brachte und in ihren Augen brannte. Ihr stiegen die Tränen auf. Sie taumelte, ihr Rucksack schwang hin und her, und beinahe hätte er diese vermaledeite Barriere berührt!
Zitternd blieb sie stehen, bis sie sich wieder beruhigt und der Rucksack zu schwingen aufgehört hatte, dann ging sie weiter. Noch ein Schritt und jetzt … aufatmend glitt sie um die Ecke und machte, eng an die Palastwand gepresst, noch zwei Schritte, weg von dieser grausigen Mauer, um dann staunend um sich zu blicken. Vor ihr dehnte sich endlose Ödnis, eine wenig vielversprechende Mischung aus Felsenmeer und Sahara. Interessant anzusehen, aber … Gabriella tastete nach ihrem Rucksack. Drei Wasserflaschen. Sie hätte mehr einpacken sollen. Aber vielleicht sah es ja hinter diesem Gebäude anders aus. Wenn Darran dort lebte, dann gab es da vielleicht eine Siedlung mit Gärten? Darran hatte nie davon erzählt, er war trotz ihrer bohrenden Fragen nie darauf eingegangen. Der trockene Wind und der Staub überall sprachen allerdings nicht gerade für ein blühendes Land.
Der hämische Blick des Wächters fiel ihr wieder ein, während sie, halb geduckt und nach allen Seiten spähend, die Palastmauer entlangschlich. Warum dieser Hohn? Dieses widerliche Grinsen? Was – sie schluckte – was war, wenn Darran verheiratet war? Einen Haufen Kinder hatte? Er hatte immer gesagt, er könne sich nicht erinnern. Vielleicht wollte er ja nicht. Oder er war zurückgekommen und – Überraschung! –, eine ganze Familie erwartete ihn. Und jetzt kam sie auch noch dazu.
Aber das war ein Problem, das sie sich lieber für später aufhob. Sie duckte sich unter den Schießscharten hindurch und bemerkte, dass diese anfänglich nicht so geplant gewesen waren. Steine und Mörtel füllten ehemals große Fenster aus, die vielleicht einmal durch Glas verschlossen worden waren. Sie sah die Mauer empor. Du liebe Zeit – dieses Gebäude schien ja fast bis in den Himmel zu wachsen. Sie machte, argwöhnisch um sich blickend, mehrere Schritte vom Palast weg und legte den Kopf zurück, bis ihr schwindlig wurde. Über diesem Stockwerk gab es noch weitere, die sich allerdings grundlegend unterschieden. Gabriella konnte Säulen erkennen, die ein Stockwerk nach dem anderen stützten und das Dach hoch emportrugen. Aber alles machte – wie dieses Sandmeer – einen verlassenen Eindruck, als wären die Wesen, die das einst gebaut hatten, schon lange dahingegangen. Tatsächlich wirkten der Palast und die Umgebung hier noch verlassener als die Pyramiden, denn dort drängten sich zumindest Scharen von Touristen. Hier war alles einsam. Wie tot. Aber zumindest Wächter musste es noch geben. Wo der eine war, trieben sich bestimmt noch andere herum. Aber was bewachten sie? Dieses tote Gebäude? Oder eher das Tor, durch das Gabriella gekommen war? Das war wahrscheinlicher.
Sie huschte weiter, mit dem Rucksack auf dem Rücken, die Kapuze gegen den sandigen Wind über den Kopf gezogen, und erreichte ein riesiges Portal. Es war verschlossen.
Gabriella eilte weiter, bis sie endlich am Ende der Mauer angekommen war. Sie steckte vorsichtig die Nasenspitze um die Ecke. Auch hier alles wie leergefegt. Bis auf den Wind, der den Sand immer heftiger vor sich hertrieb. Langsam bekam sie Durst, zumindest wollte sie den Sand, der inzwischen schon zwischen ihren Zähnen knirschte, wegspülen. Sie überlegte, aber dann ließ sie die Flasche, wo sie war. Sie musste weiter.
Eine gute Stunde musste vergangen sein, als
Weitere Kostenlose Bücher