Tochter der Schatten - Vara, M: Tochter der Schatten
seinen Worten höhnisch auflachen. »Nicht, dass ich glaubte, der Schwur eines Bastards von diesem Schlächter könnte ehrlich sein.«
Gabriella sah ihn mit starrem Blick an. »Ich schwöre nicht als Strabos Tochter. Ich schwöre als die Frau, die Darran liebt und die ihm und seinen Freunden nicht schaden wird.«
»Darran würde es mir ebenfalls übel nehmen, brächte ich dich in diese Welt.« Sein Blick wurde milder, als er hinzusetzte: »Narr, der er ist.« Er wandte sich um. »Halte dich morgen Abend bereit. Bis dahin habe ich eine Möglichkeit gefunden, dich in unsere Welt zu bringen. Lebend«, fügte er ironisch hinzu.
Gabriella ließ ihn diesmal gehen, sah ihm jedoch nach, wie er die Straße zügig entlangschritt. Und dann, als hätte man eine Lampe abgedreht, war er verschwunden. Sie ging mit zitternden Knien, bebenden Händen und klopfendem Herzen heim.
Morgen Abend also. Lebend. Das Wort klang drohend, zumindest so, wie er es ausgesprochen hatte. Sie ließ sich auf den Küchenstuhl sinken und sah sich um. Langsam nahm die Vorstellung Gestalt an, dass sie all das verlassen und vielleicht nie wiedersehen würde. Und dann sprang sie auf. Noch so viel zu erledigen! Es war nicht, als würde sie auf Weltreise gehen und monatelang fortbleiben, nein, es war möglicherweise eine Reise ohne Wiederkehr.
Zuerst rief sie Antonio an und entschuldigte sich für die nächsten beiden Tage. Grippe. Sie hüstelte mitleiderregend ins Telefon. Ja, ganz plötzlich. Antonio klang verdrossen, nahm ihr Fernbleiben aber zur Kenntnis. Nun gut, er würde vermutlich noch länger auf sie verzichten müssen als diesen einen Tag. Die Symptome waren nicht einmal erfunden. Ihr Kopf wurde abwechselnd heiß und kalt, als schwankte sie zwischen Kreislaufkollaps und Schlaganfall.
Eilig suchte sie im Computer Vorlagen. Dann setzte sie sich hin, schrieb mit der Hand ein Testament, betitelte es »Mein letzter Wille« und vermachte alles Rita. Die konnte es gebrauchen, auch wenn es vermutlich schwierig war, jemanden, der in eine andere Welt verschwunden war, für tot erklären zu lassen. Die Wohnung war zwar nur gemietet, aber sie besaß noch ein bisschen Schmuck von ihrer Mutter. Ein Brief an Rita, in dem sie ihr nahelegte, einfach alles zu nehmen, was sich in der Wohnung fand, und nicht lange nachzufragen. Am nächsten Tag würde sie ihr gesamtes Geld vom Sparbuch abheben und es Rita auf den Tisch legen. Sie würde hoffentlich klug genug sein, es auch zu nehmen.
Nur ein Tag Zeit, um alles zu regeln! In ihrer Panik vergaß sie sogar ihre Angst vor dem nächsten Abend. Es dämmerte bereits, als sie begann, Staub zu wischen und zu saugen. Schmutzig wollte sie Rita diese Wohnung nicht hinterlassen.
Am Morgen bereitete Gabriella eine SMS an Rita vor, die sie in letzter Sekunde abschicken wollte. Sie sah ihr Handy ein wenig wehmütig an. Die ganze Nacht hatte sie gegrübelt, von wem sie sich noch verabschieden wollte oder sollte, aber der einzige Mensch war Rita. Habe Weg gefunden, Darran zu suchen. Pass auf dich auf. Danke für alles. Bist liebste Freundin, die ich je hatte.
Es war Nachmittag, als sie alles erledigt und den Brief an Rita mit dem Ersatzschlüssel in den Postkasten geworfen hatte. Danach saß sie angespannt auf ihrer Couch und starrte vor sich hin. Die Stimmen der Menschen auf der Straße, der Autolärm, alles drang nur wie von fern zu ihr. Sie hatte sich gut vorbereitet, trug bequeme Jeans, feste Sportschuhe, ein schwarzes T-Shirt, darüber eine Fleecejacke. Neben ihr lag ihr Rucksack, bis zum Platzen vollgestopft. Sie hatte keine Ahnung, was man so in Amisaya brauchte, also hatte sie eben gepackt, was bei einer Trekkingtour hilfreich wäre. Kosmetiksachen, Ersatzwäsche und warme Socken, jede Menge Müsliriegel, eine Tafel Schokolade und drei Flaschen Mineralwasser, ferner – nach einiger Überlegung – noch mehrere Tuben Zahncreme und zwei Ersatzzahnbürsten. Ganz zum Schluss hatte sie noch ihr Lieblingsbuch eingesteckt, die Gedichtesammlung von Christian Morgenstern. Und darauf thronte ihr handgroßer, schmuddeliger Teddy, der sie getreulich seit Venedig begleitete.
Ein wenig wehmütig sah sie auf die wenigen Dinge, die sie mitnahm. Wie wenig sie brauchte und wie leicht sie alles zurückließ. Vielleicht lag es daran, dass sie es gewöhnt war, lieb gewonnene Dinge zurückzulassen, wie sie es bei den Übersiedelungen mit ihrer Mutter gelernt hatte. Oder sollte sie eher sagen: Während ihrer jahrelangen Flucht? Was Camilla
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