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Tochter der Schatten - Vara, M: Tochter der Schatten

Tochter der Schatten - Vara, M: Tochter der Schatten

Titel: Tochter der Schatten - Vara, M: Tochter der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mona Vara
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Richtung? Einige tastende Schritte nach rechts und nach links brachten auch kein Ergebnis, es gab keine Wände, keine Begrenzungen, die Schwärze dehnte sich endlos.
    Sie begann zu frieren. Wo immer sie gelandet war, es war eisig hier. Als Kind war sie in Venedig in einem harten Winter einmal in einem zugefrorenen Kanal eingebrochen. Man hatte sie schnell wieder herausgeholt, aber jetzt erinnerte sie sich daran. Das eisige Wasser, das einem die Luft raubte und den Körper binnen Sekunden ganz gefühllos machte. Genauso war es auch hier. Nur dass es im Kanal noch heller gewesen war. Sie beschloss, einfach so lange geradeaus zu gehen, bis sie entweder irgendwo anstieß oder in eine Grube fiel.
    Sie wusste nicht, wie lange sie unterwegs war. Es konnten Sekunden gewesen sein, Minuten, bis sie einen letzten Schritt machte und sich ebenso schnell, wie die Schwärze sie verschluckt hatte, nun plötzlich in einem dämmrigen Raum wiederfand.
    Abrupt blieb sie stehen und sah sich um. Um sie herum, wenn auch weit entfernt, waren Mauern. Durch schießschartenartige schmale Fenster fiel kaltes Licht herein. Schmale Lichtzungen leckten über einen mit Marmorplatten ausgelegten Boden – stern- und kreisförmige Muster in verschiedenen Farben dehnten sich über die ganze Weite dieser Halle aus. Und über ihr … Gabriella legte den Kopf in den Nacken und blickte staunend zur Decke hinauf. In dieser Halle hätte vermutlich der ganze Stephansdom Platz gefunden!
    In ihrem rechten Augenwinkel nahm sie eine Bewegung wahr. Sie fuhr herum und fand sich einem Mann gegenüber, der sie aus stechenden Augen betrachtete. Er trug das Haar lang, zu einem Pferdeschwanz gebunden, hatte ein breites Gesicht, seine Wangenknochen traten stark hervor, und dunkle Augen, deren Blick jetzt über sie glitt. Er musterte sie, als hätte er noch nie jemanden aus der anderen Welt gesehen. Besonderes Interesse fanden ihre Sportschuhe und der Rucksack.
    Gabriella erwiderte die Prüfung. Der Mann war schließlich sehenswert, und von Darran und den anderen Grauen in ihren uniformähnlichen Anzügen abgesehen, hatte sie noch nie einen Einwohner von Amisaya zu Gesicht bekommen. Markus zählte nicht, er war als normaler Mensch in ihrer Welt herumgelaufen. Dieser Mann trug verwaschene Hosen – Beinkleider sagte man hier vermutlich noch dazu –, deren Farbe möglicherweise früher dunkelrot gewesen war. Dazu ein loses Hemd in derselben blassen Farbschattierung und darüber einen Lederharnisch. Gabriellas Blick blieb sekundenlang auf der Lanze haften, die er drohend in der Hand hielt.
    Sie suchte nach Worten. Zum ersten Mal fiel ihr ein, dass sie diese Leute hier vermutlich nicht verstand und umgekehrt wohl ebenso. Sie deutete auf sich und sagte: »Ich su…«
    Er zuckte mit den Schultern. »Komm mit.« Er ging voran und wies ihr den Weg zu einer kleinen Tür. »Du musst hier hinaus, der Haupteingang zum Palast wird bewacht, und nicht jeder ist gewillt, einfach irgendwelche Menschen hereinzulassen, die«, er kniff die Augen zusammen, »hier nichts verloren haben.«
    Gabriella stolperte hinterher. »Ich bin nur zur Hälfte ein Mensch«, wollte sie ihn korrigieren, aber es war besser, den Mund zu halten. Ihr Vater schien – um es nett auszudrücken – hier nicht gerade beliebt zu sein, und sie wollte sich durch nichts von ihrer Suche nach Darran aufhalten lassen.
    Als er die Tür nach innen aufzog, sah sich Gabriella nur einen Schritt davor einer schimmernden grauen Wand gegenüber. Er deutete mit vager Geste darauf. »Das ist die Barriere. Achte darauf, dass du sie nicht berührst, andernfalls werden alle Wächter alarmiert. Ganz abgesehen davon«, fügte er hämisch hinzu, »würdest du es auch sonst bereuen, weil sie dir schneller die Nase vom Körper brennt, als du sie hineinstecken kannst. Du musst dich links halten. Einige Schritte weiter endet die Palastwand, und du kommst ins Freie.«
    Gabriella machte einen Schritt auf die Türschwelle zu und steckte vorsichtig den Kopf hinaus. Da sollte sie durch? Gut, sie war schlank, aber nur ein bisschen Wanken, ein bisschen Stolpern, und sie berührte diese unheimliche Wand.
    »Nun mach schon!«, schnauzte der Mann sie an, als sie den Rucksack von den Schultern zog und in die rechte Hand nahm. »Oder willst du warten, bis uns jemand sieht und ich für meine Gutmütigkeit bezahle?«
    »Einen Moment noch«, fauchte sie ihn gereizt an. »Wo finde ich Darran?«
    Er sah sie verblüfft an, dann hob er die Augenbrauen.

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