Tochter der Träume / Roman
heruntergezogen war und mir mit dem Bügel in den Arm stach.
»Danke«, murmelte er mit rauchiger Stimme.
»Wofür?« Ich hatte fast Angst vor dem, was er nun sagen würde, und hoffte, dass er nicht den Augenblick ruinierte.
Er runzelte leicht die Stirn, seine Miene unergründlich wie immer. »Dafür, dass du bist, wie du bist.«
Ich blinzelte ein paar Tränen fort und küsste ihn, statt etwas zu sagen.
Das waren die süßesten Worte, die je ein Mensch zu mir gesagt hatte.
Als ich aufwachte, überraschte es mich nicht, dass Noah nicht da war. Es verletzte mich auch nicht. Ich wusste, dass er in seinem eigenen Bett aufwachen würde, zurück in seinem Körper, und ich hoffte, dass das, was zwischen uns passiert war, ihm nicht bloß wie ein Traum erschien. Für mich war es noch immer wunderbar real.
Die Traumwelt hatte eine ganze Menge mit dem Film
Matrix
gemein, und ich hatte mich schon oft gefragt, ob die Wachowski-Brüder sich von der Traumwelt haben inspirieren lassen. Wahrscheinlich wäre ihnen das allerdings nicht bewusst. Der technische Aspekt war natürlich ein Unterschied, aber die Ähnlichkeit war vorhanden: Was innerhalb der Matrix geschah, war real, auch wenn man es nicht körperlich erfuhr. Die Traumwelt funktionierte nach dem gleichen Prinzip. In beiden Welten verfügte man über die Kraft der Gedanken – es sei denn, man war wie ich und damit fähig, sich auch körperlich in die andere Welt zu begeben.
Während Noah also aufwachte und lediglich die Erinnerung an das Geschehen aus der Traumwelt mitnahm, trug ich seinen Duft auf meiner Haut und auch alle anderen körperlichen Beweise für unsere Liebesnacht.
Ich stand auf, ging unter die Dusche und nahm ein paar Kleider aus dem Schrank. Schon als Kind waren mein Kleiderschrank und meine Kommode voll gewesen mit allen möglichen Kleidern in meiner Größe und meinen Lieblingsfarben, und das hatte sich bis heute nicht geändert. Ich wusste nicht, woher die Kleider kamen oder wer dafür sorgte, dass ich immer gut ausgestattet war, und ich fragte auch nicht nach. Ich wollte mir nicht noch mehr Schuldgefühle aufladen, was meine Mutter und Morpheus anging.
In Jeans, Pulli und meinen eigenen Stiefeln machte ich mich auf die Suche nach den beiden. Es war sechs Uhr früh in New York, doch in der Traumwelt hatte der Tag noch nicht begonnen. Wie Tag und Nacht dort funktionierten, war auch eines der Rätsel, die ich nicht verstand, zumal Morpheus nie schlief. Insofern diente der stete Wechsel von Tag und Nacht nicht als Zeitmesser, ihm jedenfalls nicht.
Ich traf meine Eltern im Arbeitszimmer an, wo sie bei Kaffee und Croissants in den riesigen Ledersesseln vor dem Kaminfeuer saßen – eine sehr vornehme Kulisse.
»Hast du ihn geschnappt?« Ich wünschte ihnen keinen guten Morgen, und es war mir egal, ob sie das ungezogen fanden oder nicht. Es ging mir nur um Noah und darum, ob er sich wieder schlafen legen konnte, ohne um sein Leben fürchten zu müssen.
Morpheus stellte seine Tasse ab und erhob sich. Er war ähnlich leger gekleidet wie ich, während meine Mutter cremefarbene lange Hosen und eine graue Seidenbluse trug. Kummer und Sorge standen ihr ins Gesicht geschrieben, was mich nicht gerade freudig stimmte, mir aber irgendwie auch gefiel.
»Nein.« Er nahm kein Blatt vor den Mund. »Meine Garde durchkämmt noch immer das ganze Reich nach ihm.«
Ich sah ihn, nein, ich starrte ihn böse an. »Wieso kannst du ihn nicht finden? Ich habe dir gesagt, wie es geht. Wieso kann ich ihn finden und du nicht?«
Sollte ihn mein kleiner Wutausbruch verärgert haben, ließ er sich nichts anmerken. »Ich habe überall nach ihm gesucht. Deine Freundin Lola habe ich gefunden, aber sie war allein. Sonst war nichts zu entdecken.«
Das war nicht möglich. »Und Noah?« Sein Name hatte einen neuen Klang in meinen Ohren. »Hast du nach ihm gesucht?«
»Liegt unversehrt in seinem Bett«, erwiderte er und fügte trocken hinzu: »Nachdem er deines verlassen hat.«
Jetzt war nicht der rechte Zeitpunkt für Schamgefühle, und so schluckte ich die Demütigung hinunter und verhinderte, dass mein Gesicht knallrot anlief.
Morpheus drückte mir eine Tasse Kaffee in die Hand. »Trink. Dann geht es dir besser.« Ich wusste, ohne probiert zu haben, dass der Kaffee genau so schmecken würde, wie ich ihn mochte. Und ich wusste, dass er recht hatte. Nach einem Schluck würde es mir bessergehen.
»Ich verstehe das nicht«, wisperte ich, mehr zu mir selbst als zu den beiden
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