Tochter der Träume / Roman
der Traumwelt. Du bist da, uns zu beschützen.«
Moment mal. Davon hat mir meine Mutter nie etwas erzählt. Zugegeben, ich hatte lange nicht mehr mit ihr gesprochen, doch selbst wenn, ich hätte sowieso nicht hingehört, wenn sie wieder einmal mit mir darüber sprechen wollte, »was« ich war. Doch ich würde meinen – hoffen –, dass sie einen Weg gefunden hätte, mir so etwas mitzuteilen. »Wer ist ›uns‹? Und wovor soll ich euch beschützen?«
»Vor den Träumen, vor Dämonen, die uns Leid antun – wie dieser Traum, der Leute in ihrem Schlaf tötet.«
Eine Sekunde lang hatte ich seine Bemerkung, ich sei eine »Wächterin«, vergessen. »Der Leute tötet?«
Seine Miene verriet große Bestürzung, weil ich nicht wusste, wovon er sprach. »Denk an die Leute, die plötzlich im Schlaf gestorben sind, was sonst könnte die Ursache sein? Du glaubst doch selbst nicht, dass es dieses SUNDS sein könnte, oder?«
Nein, eigentlich nicht. Und der Gedanke daran ließ mich frösteln – bis auf die Knochen. War das Ding aus meinem – und Noahs – Traum dafür verantwortlich? Doch wie konnte ich andere schützen, wenn ich nicht einmal mich selbst vor ihm schützen konnte?
Der alte Mann starrte mich an, offenbar völlig unbeeindruckt von dem, was er sah. »Wie kannst du als Morpheus’ Tochter nichts davon wissen?«
»Ich habe meinen V …, ihn schon lange nicht mehr gesehen.«
Er starrte mich weiterhin an, wissender, und ich begann, mich unter seinem Blick zu winden. »So ist das also. Das erklärt eine Menge. Hatte schon befürchtet, du seiest beschränkt oder so.«
Ich widerstand der Versuchung, ihm mit einer beißenden Bemerkung zu zeigen, dass ich
nicht
beschränkt war. »Kannst du mir helfen?«
Er zuckte mit den schmalen Schultern, die in einem roten Ledermantel steckten, der ihm zwei Nummern zu groß war. »Gut möglich, aber nicht in der Frage, mit der du heute gekommen bist. Du suchst nach Antworten, doch der Einzige, der dir diese Antworten geben kann, ist dein Vater.«
Auch wenn mir bei dem Gedanken an meinen wahren Vater speiübel wurde, sah es ganz danach aus, als bliebe mir keine andere Wahl, wenn ich Noah helfen wollte.
Ihm nicht zu helfen, war erst recht keine Lösung. Menschen zu helfen, war schließlich mein Job. Außerdem bedeutete mir Noah etwas, was weit wichtiger war. Er vertraute mir. Es störte ihn nicht, dass ich in mancherlei Hinsicht anders war, was er vermutlich bereits gemerkt hatte. Ich könnte viele Gründe vorbringen, die mich bewogen, ihm zu helfen, aber darauf kam es nicht an, solange ich nur alles in meiner Macht Stehende für ihn tat.
Der alte Mann stand auf und strich sich die beigefarbene Hose glatt.
»Wenn du nicht willst, dass weitere Menschen sterben, dann musst du das Etwas aufhalten.«
»
Ich
muss was? Warte eine Sekunde, verdammt …«
Sein starrer Blick hielt mich auf der Bank gefangen und war so intensiv, dass ich mich am liebsten unter der Sitzfläche verkrochen hätte. »Das ist deine Pflicht, Mädchen. Du bist eine der wenigen, die das Etwas bezwingen können.«
»Ich weiß noch nicht einmal, was
es
ist!«
»Höchstwahrscheinlich ist es ein Traumdämon.«
Ich blinzelte. »Ein Traumdämon.« Einer, der kleine Kinder schreiend aus dem Schlaf fahren ließ?
Er nickte. Ich hätte gelacht, wenn er mich nicht so verdammt ernst angeblickt hätte. »Ich habe aus verschiedenen Kreisen den Namen Karatos munkeln hören.«
»Und wie kommt er in meine Träume?«
»So wie er in die Träume vieler anderer kommt, nehme ich an.«
Schöner Mist.
»Es scheint, als sucht der Traumdämon gezielt nach dir. Deswegen wird er dich in deiner kleinen Festung gefunden haben. Das solltest du dem König sagen. Er wird es wissen wollen.«
Mit »König« meinte er vermutlich Morpheus. »Wenn du so gut Bescheid weißt, warum sagst du es meinem Vater dann nicht selbst?« Und wieso, zum Teufel, konnte er mir nicht einfach die Antworten geben, die ich brauchte? Wieso schickte er mich damit zu Morpheus? Sah er denn nicht, dass ich eine echte Memme war?
Der alte Mann lächelte, doch es lag keine Heiterkeit darin. »Das kann ich nicht. Er hat mich aus seinem Reich verbannt. Ich kann es nicht mehr betreten, selbst wenn ich wollte.«
Verbannt? Von so etwas hatte ich noch nie gehört. Wie konnte jemand aus dem Reich der Träume verbannt sein? Jeder Mensch träumte.
»Das ist eine andere Geschichte, Miss Dawn. Du beeilst dich jetzt besser. Besuch mich wieder, wenn du deinen Vater
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