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Tochter der Träume / Roman

Tochter der Träume / Roman

Titel: Tochter der Träume / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathryn Smith
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getroffen hast. Dann will ich dir helfen, wenn ich kann.«
    Er wandte sich zum Gehen und war schon ein paar Schritte entfernt, als ich endlich meine Sprache wiedergefunden hatte. »Warte!«
    Er blickte über seine Schulter. »Ja?«
    »Wie lautet dein vollständiger Name?«
    »Antwoine Jones.«
    »Wird mein … wird Morpheus sich an dich erinnern, wenn ich ihm sage, dass wir uns gesprochen haben?«
    Er lächelte wieder, diesmal fast vergnügt. »Davon gehe ich aus. Ich habe versucht, ihn zu töten.«

[home]
    Kapitel 6
    A m Montagmorgen machte ich mich auf den Weg zur Arbeit und fühlte mich, als wären meine Augen heiß wie Feuer und mein Kopf voll mit Beton. Ich hatte das gesamte Wochenende (nach meiner seltsamen Begegnung mit Antwoine) mit dem Versuch zugebracht, meine Mutter und Morpheus in der Traumwelt zu »finden«. Dabei hatte ich es kaum einen Schritt aus meiner kleinen Ecke geschafft. Offenbar kam man sehr viel leichter in meine Welt hinein als ich aus ihr hinaus. Fabelhaft.
    Viele Leute glaubten, dass sich die Träume im Unterbewusstsein abspielten, und das traf teilweise auch zu. Das Bewusstsein eines gewöhnlichen Menschen konnte das Reich der Träume nicht betreten – wie man die Traumwelt früher schon nannte, lange bevor Künstler wie Kate Bush und Neil Gaiman diesen Begriff benutzten. Nur wenige Menschen waren schon einmal dort, doch diese sind offensichtlich
nicht
als gewöhnlich zu bezeichnen. Das Unterbewusstsein indes kann die Dimension zwischen dieser Welt und der Welt der Träume leicht überbrücken. Kurzum, die Träume kommen nicht zu uns Menschen, sondern wir Menschen begeben uns durch ein Portal in die Träume. Und das ist seit jeher so, seit Ama, die Schöpferin der Traumwelt, ihr erstes Netz gewoben hat.
    Und obwohl ich Teil der Traumwelt war, musste auch ich durch das Portal gehen. Doch die Traumwelt war ein verdammt großer Ort, vor allem wenn man sich nicht auskannte – und ich wusste, wovon ich sprach. Die Vorbereitungen und die Reise selbst hatten mich erschöpft, und ich hatte weder meine Mutter noch ihren Geliebten gefunden.
    Meine Mutter und ihr
Geliebter
, igitt. Ich weiß, ich redete, als sei ich in den Siebzigern stehengeblieben, aber von meiner Mutter und meinem Vater – also meinen Eltern – zu sprechen, erschien mir wie ein Verrat an dem Mann, der mich großgezogen hatte, der mir mein Studium bezahlt hatte und mir jedes Jahr eine Geburtstagskarte schickte.
    Vor mir saß gerade eine Patientin, die nicht zu bemerken schien, dass ich nicht ganz bei der Sache war. Vielmehr war Mrs.Leiberman selbst gerade ziemlich aufgekratzt und zeigte erste Anzeichen von manischer Ausgelassenheit. Ihr auffälliger Gemütszustand hätte mir eigentlich zu denken geben müssen, aber offen gestanden war ich viel zu müde, um mich damit zu befassen. Es war einfach nur schön, sie zur Abwechslung einmal lächeln zu sehen.
    »Sie sehen gut aus, Nancy.«
    Ihr Lächeln wirkte verschämt, was mir für eine Mittvierzigerin seltsam deplaziert vorkam. »Ja, mir geht es gut. Die Arbeit macht großen Spaß, und ich habe jemand Tolles kennengelernt. Ich fühle mich … gut.«
    »Freut mich zu hören.« Es freute mich wirklich. »Und Ihre Träume? Wie sind sie?«
    »Auch gut.« Ihre Stimme klang so voller Staunen, dass ich fast auf meinem Stuhl zusammengezuckt wäre. Nancy war seit knapp vier Monaten bei mir in Behandlung. Ich hatte sie von einer Kollegin übernommen, die in der Dominikanischen Republik lieber ihre eigene Vorstellung von Therapie ausprobieren wollte, als einer Frau zu helfen, die kein Auge zutun konnte, ohne von den schlimmsten Träumen verfolgt zu werden.
    »Gut?« G-U-T – das waren drei Buchstaben, und die hatte sie bereits über Gebühr strapaziert. GUT  – das war zu nebulös, zu
einfach
, insbesondere in ihrem speziellen Fall.
    Meine Vermutung war, dass Nancy als Kind missbraucht wurde. Sie hatte in etlichen Sitzungen bereits vage Andeutungen gemacht und alle Alarmglocken in meinem Kopf zum Schrillen gebracht. Zwar war ich auf Träume spezialisiert, aber ich hatte auch ein gut geschultes Gespür für andere Probleme und wollte für Nancy da sein, sollte sie irgendwann den Auslöser ihrer Alpträume erkennen. Danach könnte sie sich gezielt behandeln lassen, sofern sie das wollte. Die Wahrheit lag tief in ihrem Inneren verschüttet, und was auch immer ihr widerfahren war, es verfolgte sie in ihren Träumen – ihren grauenvollen, blutigen Träumen.
    Doch jetzt saß sie vor

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