Tochter der Träume / Roman
einem rötlichen Stich und wasserblaue Augen. Meine Augen.
»Ähm …« Ich räusperte mich. »Hi.«
»Meine Kleine!« Die dunklen Augen meiner Mutter füllten sich mit Tränen, und sie stürmte auf mich zu. Ihr Überschwang ließ mich zurücktaumeln, ich wollte sie nicht umarmen, doch klammerte sie sich so fest an mich, dass auch mir die Tränen kamen.
Morpheus hingegen rührte sich nicht von der Stelle. Er und ich waren uns möglicherweise ähnlicher, als ich dachte, denn er schien zu wissen, dass ich noch nicht für die große Heimkehr bereit war. Meine Mutter wusste dies wahrscheinlich auch, aber es war ihr schlichtweg egal. Sie war einfach nur glücklich, mich zu sehen.
Ich wünschte, ich wäre nicht auch froh gewesen, sie zu sehen. Natürlich war es ein schönes Gefühl, aber meine Gedanken waren in diesem Augenblick bei meiner Familie in Toronto, deren Leben sich einzig darum drehte, dieser Frau beim Schlafen
zuzusehen
. Der Gedanke an sie schürte meinen inneren Groll, und ich ließ die Arme sinken und stand stocksteif da, bis meine Mutter mich wieder losließ.
Sie blickte mich traurig an, doch ich blieb ungerührt. Ja, verdammt – ich war ungerührt. »Ich nehme an, ich verdiene es nicht anders«, sagte sie.
Ich erwiderte ihren Blick. »Ja, so ist es wohl.«
»Du bist ein wenig zu alt, um nach Hause zu kommen, nur weil du etwas willst.« Morpheus’ Stimme ertönte so dunkel und kühl wie ein Schatten. »Nicht wahr, Dawn?«
Ganz offenbar hatte ich meinen Stolz von ihm geerbt – und meinen Hang zur Bitterkeit. Ich sah ihn an, spiegelte mich in dem befremdlichen Blau seiner Augen und im rötlichen Schimmer seiner Haare. »Ich wäre nicht hier, wenn ihr beide euren Job ordentlich machen würdet.«
Meine Mutter schnappte nach Luft, und mein … Morpheus biss die Zähne zusammen. Ich nehme an, er war es nicht gewohnt, dass man ihn tadelte.
»Was weißt du schon von meinem ›Job‹?«
»Ich weiß, dass eines deiner Geschöpfe Menschen verletzt.«
»Woher willst du das wissen?«
»Weil ich es am eigenen Leib erlebt habe.«
Und in dieser Sekunde wandelte sich seine Miene von stur zu schmerzerfüllt, gefolgt von einem mörderischen Ausdruck, der mich, das muss ich zugeben, ein wenig erzittern ließ. »Erzähl.«
Und das tat ich – in aller Kürze. Ich erzählte ihm von Karatos, davon, was dieses Wesen mit Noah angestellt hatte und was es mit mir gemacht hatte. Allerdings brachte ich es nicht fertig, Morpheus gegenüber zuzugeben, wie absolut schwach und hilflos ich mich gefühlt hatte. Ich erzählte ihm, dass Karatos in Verdacht stand, Menschen zu töten, Antwoine aber erwähnte ich mit keiner Silbe. Sollte Morpheus den alten Mann tatsächlich hassen, dann wollte ich vermeiden, dass ihn dies davon abhielt, das Etwas aufzuhalten, bevor es weitere Menschen verletzte.
Doch was es mir angetan hatte, schien Morpheus mehr Sorge zu bereiten, ebenso die Tatsache, dass es mir bei meiner Ankunft vor den Toren aufgelauert hatte. »Wenn dieses Etwas dich benutzen will, um mich zu erzürnen, dann ist es ihm gelungen.« Die harten Linien in seinem Gesicht ließen ihn unerbittlich erscheinen. Ich würde nicht mit Karatos tauschen wollen, wenn der Gott der Träume es mit ihm aufnehmen wollte. »Ich werde es finden und vernichten.«
Ich ließ die Schultern sinken. »Danke.«
»Unter einer Bedingung.«
Ich fuhr hoch und starrte ihn an. Was, zum Teufel …? »Dieses
Ding
aus deinem Reich hat mich verge … geschlagen« – meine Mutter zuckte zusammen, als ich die Stimme erhob –, »und du stellst eine Bedingung?«
Er stand groß und aufrecht vor mir, und sein Blick war gnadenlos. Das war er also – der König der Träume. Er war unermesslich, ein ewiger Gott, und als solcher beugte er sich nichts und niemandem, nicht einmal seinem eigenen Kind.
»Karatos ist nicht mein
Ding
«, klärte er mich auf. Als änderte das etwas, als könnte man allen Schmerz damit vergessen. »Er gehört deinem Onkel Icelus.« Soweit ich die Überlieferungen – und meine Familienchronologie – richtig im Sinn hatte, herrschte Icelus über alle schlechten Träume und Traumdämonen.
»Aber er ist immer noch Teil der Traumwelt«, wandte ich ein. »Und diese Welt ist
deine
Welt.«
Er kam näher. Meine Mutter schob sich zwischen uns – als könnte sie mich mit ihrer zierlichen Gestalt schützen. Doch ich brauchte ihren Schutz nicht. Sie war ein ganz gewöhnlicher Mensch.
Ich war das nicht, ich war Teil dieser Welt
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