Tochter der Träume / Roman
und das Make-up im Spiegel meiner Puderdose und strich mein Oberteil glatt, damit es nicht unvorteilhaft an mir hing.
Ich betrat die Galerie durch eine schwere Glastür mit einem schwarzen Holzrahmen und wurde von einem europäisch aussehenden Herrn begrüßt, der mir die Jacke abnahm und mir den Weg zur Bar wies. Die Getränke waren umsonst. Ich war froh, dass ich mich zurechtgemacht hatte, denn hier ging es offensichtlich exklusiver zu, als ich zunächst angenommen hatte, und die Galerie hatte so gar nichts von der hippen, urbanen Atmosphäre, die ich eigentlich erwartet hatte. Es hatte sich bereits eine ziemlich große Gästeschar eingefunden, und die Luft war von Stimmengemurmel und vom Klappern der Absätze auf dem Steinfußboden erfüllt. Im Hintergrund spielte leise Musik. Ich bestellte ein Glas Weißwein und bewegte mich dann auf die Bilder zu, statt mich unter die Menge zu mischen.
Ich war keine große Kunstkennerin. Zwar wusste ich, was mir gefiel und was nicht, aber ich konnte es nicht begründen. Ich mochte Farben und Schönheit und vielleicht auch ein wenig Melancholie. Aggressive Kunst hingegen interessierte mich nicht.
Zum Glück für mein feinsinniges Kunstempfinden trafen Noahs Werke vollauf meinen Geschmack. Er mochte offenbar klare, kräftige Farben, die trotzdem dezent wirkten, und ein Großteil seiner Werke brachte mich dazu, den Blick nach innen zu richten. Beim Betrachten der traumhaft schönen Leinwände vor der kahlweißen Wand eröffneten sich mir mehr Einsichten in Noahs Seele als während eines gesamten Monats Therapie.
Vielleicht war es Unsinn, aber die Bilder sogen mich förmlich in sich hinein. Es lag eine gewisse Verletzlichkeit in seinen Gemälden, aber auch Stärke und Schönheit.
Ich war froh, dass ich mich zu diesem Outfit für den Abend entschieden hatte. Einige Männer waren im Anzug gekommen, manche Frauen im Cocktailkleid, doch die meisten hatten sich für einen lässigeren Schick entschieden, was wiederum für viele DKNY oder Armani hieß. Ich gebe zu, dass mich das ein wenig einschüchterte, aber Geld zu haben, bedeutete auch, dass sich diese Leute hier Noahs Werke leisten konnten – und Geld konnte Noah allemal gebrauchen.
Das zumindest war bislang mein Eindruck gewesen, der sich in dem Augenblick verflüchtigte, als ich ihn sah.
Noah stand mitten im Raum, umgeben von einer Gruppe von Männern und Frauen, die sich im Halbkreis um ihn geschart hatten und ihm förmlich an den Lippen hingen. Er hatte sich in Schale geworfen, trug eine schwarze Hose und ein schwarzes Jackett, mit einem strahlend weißen Hemd, das am Kragen offen stand. Der schwarze Gürtel glänzte mit seinen Schuhen um die Wette. Noah wirkte zufrieden und entspannt. Allein das Hemd hatte wahrscheinlich mehr gekostet als mein gesamtes Outfit zusammen.
Passend zum Anlass hatte er sich rasiert, was seine nun glatte, bronzefarbene Kinnpartie betonte, und sich das schwarze Haar nach hinten gekämmt. Eine Strähne fiel ihm in die Stirn, als er sich lächelnd einer Frau zuwandte, die gerade etwas zu ihm gesagt hatte.
Dumme Kuh.
Eifersüchtig? Ich? Ja, das war ich.
Ich war unfähig, mich zu bewegen. Zum ersten Mal, seit wir uns kannten, scheute ich mich, auf ihn zuzugehen. Das hier war Noahs Welt, nicht meine. Ihn so zu erleben, führte mir deutlich vor Augen, dass ich mit meiner Vermutung, er sei ein mittelloser Künstler, total danebenlag. Die vage Überlegenheit, die ich ihm gegenüber empfunden hatte, hatte ich offenbar gleich am Eingang mit abgegeben, denn nun kam ich mir unterlegen, überaus dämlich und absolut fehl am Platz vor.
Ich könnte einfach wieder gehen und ihm erzählen, ich sei zwar da gewesen, hätte ihn aber nicht gesehen. Oder besser noch, ich könnte sagen, es sei mir etwas dazwischengekommen, und ich hätte es nicht geschafft.
Doch jegliche Hoffnung auf Flucht schwand dahin, als er plötzlich aufsah – und mich dabei erwischte, wie ich ihn anstarrte.
Er lächelte. Ein langsames, träges Lächeln, bei dem sich die Fältchen in seinen Augenwinkeln kräuselten, was bewirkte, dass mich ein Kribbeln vom Scheitel bis zur Sohle durchlief. Immerhin gelang es mir, sein Lächeln zu erwidern, wenigstens hoffte ich, dass dem so war. Dämlich wie ich war, hob ich sogar die Hand und winkte ihm zu.
Noah sagte etwas zu der Gruppe und entfernte sich dann. Einige der Frauen beobachteten ihn, und ich wusste, dass sie mich entdeckt hatten und sich fragten, warum er sie meinetwegen stehenließ. Und
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