Tochter der Träume / Roman
ein Teil von mir fragte sich das auch, während mein Herz Lambada tanzte, als er auf mich zukam.
»Doc«, sagte er mit seiner samtigen Stimme, als er nur wenige Zentimeter vor mir stehen blieb. In der einen Hand hielt er einen Drink, die andere steckte in der Hosentasche. »Du bist gekommen.«
Er klang tatsächlich überrascht. Vielleicht war er doch nicht so selbstsicher, wie ich immer dachte. »Wie könnte ich mir die Gelegenheit entgehen lassen, einen Blick auf deine Bilder zu werfen?«
Er musterte mich unverhohlen. »Du siehst toll aus. Hast du schon etwas entdeckt, das dir gefällt?«
Außer ihm? »Ich bin eben erst gekommen.«
Sein amüsiertes Grinsen verriet mir, dass er ebenfalls auf ein Kompliment aus gewesen war. Er wies mit einer ruckartigen Kopfbewegung in Richtung des hinteren Teils der Galerie. »Komm. Ich will dir etwas zeigen.«
Das letzte Mal, als mir ein Typ gesagt hat, dass ich ihm folgen solle, hatte ich mehr von Jason Lewis zu Gesicht bekommen, als mir lieb gewesen war, aber ich folgte Noah trotzdem. Nein, ich folgte ihm eigentlich nicht, denn nach nur wenigen Schritten wurde er langsamer und ging dann neben mir. Seine Hand lag leicht auf meinem Rücken, als er mich durch die Menge steuerte.
Viele drehten sich nach uns um, als wir vorbeigingen. Ob sie sich wohl fragten, wer ich war? In welcher Beziehung ich zum Star des Abends stand?
Noah führte mich an etlichen Gemälden vorbei, bis ich vor einem stehen blieb, um es genauer zu betrachten. Auch er blieb stehen, die Hand noch immer an meinem Rücken.
Die Leinwand war riesig – mindestens eins achtzig breit. Die dominierenden Farben waren Blau, Grün und Grau, die zu stimmungsvollen Wirbeln verwischt waren. Am Fuß des Bilds lag eine Frau in einem Nachthemd, die Arme über den Kopf gelegt, als wolle sie sich schützen. Ich betrachtete sie und spürte förmlich ihre Angst, Sorge und Trauer. Dann sah ich auf das kleine Schild an der Wand neben dem Bild:
Mutter
– so der Titel.
Erstaunt drehte ich mich zu Noah um. Das Bild war provokant genug, aber ihm einen solchen Titel zu geben, war fast schon unheimlich. Noahs Gesicht war völlig ausdruckslos, als sein Blick von dem Bild zu mir wanderte. Ich wusste in diesem Augenblick, dass er nicht wollte, dass ich hinter die Bedeutung des Bilds kam, weil ich seine Miene von vielen Therapiesitzungen her kannte und allmählich begriff, dass sie mit Selbstschutz zu tun hatte.
»Es macht mich traurig«, sagte ich.
Er nickte, und ich bemerkte, wie seine Schultern ein wenig nach unten sackten, als sei er erleichtert, dass ich nichts weiter dazu sagte. »So war es gedacht«, erwiderte er, verstärkte den Druck seiner Hand und dirigierte mich weiter. »Da entlang.«
Nach wenigen Schritten wurden wir von einem hochgewachsenen Mann aufgehalten. Er hatte helle Haut, dunkle Haare und Augen, eine lange Nase und einen kleinen Mund. Der Mann war nicht im klassischen Sinne gutaussehend, aber dennoch attraktiv. Noahs Finger drückten sich fester in mein Kreuz.
»Noah«, sagte er und warf mir ein Lächeln zu. »Entschuldige, wenn ich störe, aber ich muss los. Wir sehen uns später noch, in Ordnung?«
Noah nickte. »Warren, darf ich vorstellen – Dawn Riley. Dawn, mein Bruder Warren.«
Noah hatte Warren bereits ein paar Mal erwähnt, und ich wusste, dass Noahs Mutter Warrens Vater geheiratet hatte, nachdem sie mit dem halbwüchsigen Noah nach New York gezogen war. Dr.Edward Clarke hatte Noah kurz nach der Heirat adoptiert. Ich wusste auch, dass es noch eine Halbschwester namens Mia gab. Bis auf diese paar Details hatte Noah nicht viel mehr über seine Familie erzählt, aber ich hatte den deutlichen Eindruck, dass er jedem Familienmitglied sehr nahestand.
»Freut mich«, sagte ich und ergriff die mir entgegengestreckte Hand – in der mir meine zwergenhaft klein vorkam.
»Die Freude ist ganz meinerseits. Schön, Sie endlich kennenzulernen«, antwortete er mit weicher, tiefer Stimme, die zu seiner Statur passte. »Wie ich hörte, sind Sie Psychologin?«
Sie
endlich
kennenzulernen? »Ja, ich arbeite im MacCallum-Institut.«
Er nickte mit strahlenden Augen und einem charmanten Lächeln. »Ich bin mit dem Sohn von Dr.MacCallum zur Schule gegangen.«
»Warren ist Psychiater«, klärte mich Noah auf und rückte ein wenig näher an mich heran, so dass sich unsere Beine leicht berührten, während er seinem Bruder ein kleines Lächeln zuwarf. »Er versucht seit Jahren, mich und das, was in meinem Schädel
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