Tochter der Träume / Roman
ist, zu therapieren.«
Das war offensichtlich nicht nur ein alter Witz zwischen den beiden, sondern auch ein wunder Punkt. »Ich hoffe, Sie haben mehr Glück mit ihm, Dawn«, meinte Warren mit einem Lächeln.
Ich tat, als musterte ich Noah, was bei seinem Anblick ein Vergnügen war. »Ich weiß nicht. Ich denke, dass mit seinem Schädel alles in Ordnung ist. Obwohl er schon ein wenig dickschädelig wirkt …«
Das brachte uns alle drei zum Lachen, und die Spannung zwischen den beiden wich. War es nur mein Wunschdenken, oder hatte Noah soeben vor seinem Bruder nicht gerade subtil sein Revier markiert?
Warren verabschiedete sich freundlich, und Noah schob mich weiter, bis wir endlich im hinteren Teil der Galerie angekommen waren. Vor uns hing ein riesiges Gemälde, das den Titel
Der dunkle Traum
trug. Darunter stand in etwas kleinerer Schrift zu lesen: »Private Sammlung des Künstlers«.
Ich hatte fast Angst, den Blick zu heben und das Bild anzusehen. Doch ich wagte es. Noah stand neben mir, schweigend und gespannt, während ich jedes kleine Detail in mich aufnahm, bevor mich der Schock traf.
Das war ich.
Es war nicht zu leugnen. Die Frau auf dem Bild hätte ich vielleicht sogar schön gefunden, aber sie hatte mein Gesicht, was mich wunderte, denn ich selbst sah mich nicht so. Sie trug ein fließendes, weißes Kleid und hatte dunkles, dichtes Haar – Zobelbraun, gebrannte Umbra, Tizianrot, da ging ich jede Wette ein –, das ihr offen über die Schultern fiel. Ihre Haut war cremeweiß und strahlte, ihre Lippen voll und rosig, ihre Augen groß und so eigenartig wasserblau, dass sie in ihrem Gesicht zu leuchten schienen.
Sah Noah mich genau so?
Mein Ich auf dem Gemälde stand über ein Bett gebeugt. Auf dem Bett schlief ein Mann, den Rücken dem Betrachter zugewandt. Es war Noah, wie ich an der muskulösen Statur und den abstehenden, schwarzen Haaren unschwer erkannte. Die Frau auf dem Bild lächelte, während sie dem Mann sanft über den Kopf strich. Sie tröstete ihn. Beschützte ihn.
»Was denkst du?« In seinem Ton schwang echtes Interesse mit und auch ein Hauch von Provokation – fast, als würde er wollen, dass ich bestritt, was ich sah.
Ich drehte mich zitternd zu ihm, war stärker ergriffen, als ich es in Worte fassen konnte. »Es ist schön«, wisperte ich. Und das war es, da gab es nichts dran zu rütteln.
Er betrachtete mich eingehend. »Es zeigt die Wahrheit, nicht wahr?«
Ich nickte. Fühlte mich leer – wie betäubt. »Woher … woher weißt du es?« Es hatte keinen Sinn, es zu leugnen. Es hatte auch keinen Sinn, so zu tun, als läge die Wahrheit nicht in diesem Bild. Und ich hatte mich gerade noch gefragt, wie viel von dieser Wahrheit ich ihm heute Abend sagen wollte.
»Das Etwas in meinem Traum. Es hat mir alles erzählt. Du bist eine Art Wächterin über die Träumenden, nicht wahr?«
Ich nickte und überlegte, was ich erwidern könnte, um ihm die ganze Sache irgendwie begreiflich zu machen. Doch Noah schien mit dieser Erkenntnis mühelos fertig zu werden. Dabei müsste er sich fühlen, als sei seine Welt aus allen Fugen geraten. Nicht ich.
»Noah?« Eine weiche Frauenstimme unterbrach uns. »Willst du uns deine Freundin nicht vorstellen?«
Sie waren zu zweit. Ein Mädchen im Teenageralter, das den gleichen bronzefarbenen Teint hatte wie Noah und das ihm auch sonst recht ähnlich sah. Das musste seine Halbschwester Mia sein. Die andere war eine zierliche hübsche Blondine. Auf ihren hohen Absätzen war sie fast so groß wie ich, allerdings etliche Konfektionsgrößen schlanker – natürlich. Ihr Kleid wirkte teuer wie auch sonst alles an ihr.
Normalerweise hätte sie mich eingeschüchtert, aber ich war noch immer wie benommen von dem Bild und davon, dass Noah nun über mich Bescheid wusste.
Unterdessen sah Noah die beiden an, als wünschte er, dass sie einfach verschwinden würden. Der scharfe Blick, den er seiner Schwester zuwarf, entging mir nicht und machte mir schlagartig klar, dass Mia keine andere Frau an der Seite ihres Bruders duldete als diese zierliche Blondine. »Mia, Amanda – das ist Dawn. Dawn, das sind meine Schwester Mia und Amanda.«
Mia warf mir ein falsches Lächeln zu. »Amanda ist Noahs Frau.«
»Ex«, knurrte Noah. »Ex-Frau.« Ich hatte noch nie einen Mann so knurren gehört. Und ich hätte es durchaus sexy gefunden, wenn ich in diesem Moment nicht alle Mühe gehabt hätte, mich auf den Beinen zu halten – Noah kannte mein Geheimnis,
und
er war
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