Tochter der Träume / Roman
kennen, von denen einige wirklich interessant und unaffektiert waren.
Es überraschte mich, wie sehr sich alle für meine Arbeit interessierten, und irgendwann hatte ich den Überblick verloren, wie oft ich gefragt worden war, was ein bestimmter Traum zu bedeuten hätte. Ein älterer Herr verwickelte mich in eine Diskussion über Freud kontra Jung. Und Noah, dieser gemeine Kerl, hielt es nicht einmal für nötig, mich zu erlösen. Er lächelte mich einfach nur auf seine charmante Weise an und reichte mir ein Glas Champagner, das ich ihm dümmlich grinsend aus der Hand nahm. Dann sprach ihn jemand an, und ich drehte mich höflichkeitshalber weg, weil ich nicht lauschen wollte.
»Wie ich höre, sind Sie Psychologin?«
Ich sah auf. Oder besser gesagt hinab – direkt in die schokoladenbraunen Augen von Noahs kleiner Schwester.
Ich versuchte, nicht zu verkrampfen oder sonst eine Reaktion zu zeigen. »Stimmt.«
Die Erleichterung war ihr anzusehen. »Dann sind Sie also Noahs Therapeutin und nicht seine Freundin?«
Das hätte mich kränken können, tat es aber nicht. Es war nichts Schlimmes daran, dass die Kleine an ihrer ehemaligen Schwägerin hing. »Noah nimmt an einem Projekt teil.«
»An was für einem Projekt?«
Ich war mir ziemlich sicher, dass Noah etwas dagegen hätte, wenn ich mich mit seiner kleinen Schwester darüber austauschte. »An einer Studie, die ich durchführe.«
Sie runzelte leicht die Stirn. »Spricht er manchmal von Amanda?«
»Darauf kann ich keine Antwort geben.« Doch am liebsten hätte ich ihr ein lautes Nein entgegengeschleudert – nein, nein, und nochmals nein.
Sie funkelte mich wütend an, als sei ich für all ihr Unglück verantwortlich. Doch ich konnte – und würde – ihre Frage nicht beantworten, selbst wenn ich wollte. Was Noah mir erzählte, war vertraulich. »Hat er von der Affäre gesprochen?«
Affäre? Nein. Das hatte er nicht. Welche Affäre? Amandas oder seine? Die Verwunderung darüber muss mir im Gesicht gestanden haben, denn Mia lächelte schadenfroh. »Also nicht. Dann kann er ja nicht allzu große Stücke auf Sie halten, wenn er es Ihnen nicht erzählt hat.«
Ich starrte sie an. Noahs Schwester hin oder her – sie benahm sich wie eine ungezogene Göre, obwohl sie eigentlich schon zu alt dafür war. »Ich kann wirklich nicht mit Ihnen über Noah sprechen. Tut mir leid.« Und mit einem kleinen Seitenhieb fügte ich hinzu: »Aber wir beide gehen später noch zusammen aus. Vielleicht ergibt sich dann die Gelegenheit.«
Sie sah mich wütend an, wandte sich abrupt ab und stolzierte davon – wie Miss Piggy aus der Muppet-Show. Eine wirklich gute Imitation.
»Tut mir leid«, sagte Noah, während er zu mir herantrat. Seiner Miene entnahm ich, dass er den letzten Teil unserer Unterhaltung mitbekommen hatte.
Ich zuckte mit den Schultern. »Sie hätte gern, dass es wieder so wird wie früher, und da stellt jede Frau an deiner Seite eine Bedrohung dar.«
»Nicht jede Frau«, sagte er mit einem Blick, bei dem es mich heiß durchlief. »Nur du.«
»Ähm …« Meine Wimpern begannen zu flattern, allerdings mehr wie bei einem nervösen Tic, nicht um mit ihm zu flirten. »Okay.«
Er schmunzelte. »Du siehst es nicht, oder?«
Ich blinzelte, und meine Wimpern waren wieder unter Kontrolle. »Was soll ich sehen?«
Er trat hinter mich und legte mir die Hände auf die Schultern. O mein Gott, seine Hände waren wunderbar. Die Wärme drang mir durch die Kleiderschichten bis ins Mark. Er drehte mich nach rechts, so dass mein Blick zum hinteren Ende der Galerie ging, wo das Bild hing, das er von mir gemalt hatte.
»Sie«, flüsterte er mir mit seiner schokoladenwarmen Stimme ins Ohr. Ich schauderte unwillkürlich, während mein Ich auf dem Bild einfach weiterlächelte. »Wenn ich dich ansehe, dann sehe ich diese Frau. Du aber siehst eine andere Frau. Eine weniger schöne. Das solltest du nicht.«
Seine Hand glitt an meinem Arm hinunter, rieb den weichen Kaschmirstoff auf meiner Gänsehaut. Ein heißes Prickeln durchfloss mich, auch an Stellen, von deren Existenz ich bislang nichts geahnt hatte.
Noah stellte sich vor mich, und seine Augen waren schwarz und glänzten, als sich unsere Blicke begegneten. Seine Wangen waren gerötet, und seine Lippen öffneten sich. »Herrgott, Doc. Jetzt sieh mich nicht so an.«
Mir war klar, dass Mia mich zu Recht als eine Bedrohung ansah, denn wären wir nicht inmitten dieser Galerie voller Menschen gewesen, hätte er mich in diesem
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