Tochter der Träume / Roman
nutzte ich, um ihm mit der Faust an die Kehle zu schlagen. Da ich den Schlag mit meiner verletzten Hand ausführte, traf ich ihn nicht so stark, wie ich wollte, und tat mir selbst höllisch weh dabei, aber der Aufprall meiner Faust war überraschend kräftig. Sein Kopf kippte nach hinten, und er ließ von mir ab. Nun gelang es mir, ihn von mir zu stoßen und auf die Füße zu kommen. Ich rang keuchend nach Luft, und Verek, der auf dem Boden saß, tat das Gleiche, mit tränenden Augen.
Mein Vater erhob sich von seinem Stuhl und kam auf mich zu. »Gut gemacht.« Dann beugte er sich vor und flüsterte mir leise ins Ohr: »Ich bin froh, dass du ihn nicht ernsthaft verletzt hast.«
»Ja, ich auch«, antwortete ich, ohne die geringste Ahnung, was ich da sagte. Denn wie zum Teufel hätte ich einen Mann wie ihn ernsthaft verletzen können?
»Sie hat Potenzial«, verkündete Verek, als er sich erhob. Seine Stimme klang dabei ein wenig angestrengt. »Ich würde ihre Fortschritte gern weiter beobachten.«
»Gewiss«, antwortete Morpheus mit einem gezwungenen Lächeln, bevor ich etwas erwidern konnte. »Wie die Garde wünscht.«
Das konnte ja heiter werden. Die würden mich dressieren wie einen Zirkushund, der auf Kommando seine Kunststückchen vollführte. Mit einem himmelblauen Schleifchen im Haar.
Verek taxierte mich mit einem Blick, der gleichermaßen verächtlich wie interessiert war – eine groteske Mischung, wenn man es genau betrachtete. »Ihr könntet sie auch rasch verheiraten, Mylord. Ein passender Mann dürfte leicht zu finden sein. Es würde Euer Leben sehr vereinfachen.«
»Mich verheiraten?« Ich trat einen Schritt nach vorn. »Das nächste Mal werde ich dir mein Knie richtig in die Eier rammen, Spartakus.«
Mein Vater machte ein Geräusch, das wie ein Schnauben klang. »Danke, Verek. Ich werde darüber nachdenken.«
Der Traum verneigte sich vor meinem Vater, während ich vor Wut schäumte, und verließ den Raum durch dieselbe Tür, durch die er gekommen war.
»Ich werde mich weder für diesen miesen Typen noch für sonst wen zum Affen machen«, rief ich und trat Morpheus trotzig entgegen. »Und ich werde mich auch nicht verkuppeln lassen. Das wäre ja noch schöner! Was soll dieses Gerede, es sei leicht, einen passenden Mann für mich zu finden?« Dieser überhebliche Scheißkerl.
»Ich werde dich nicht zu irgendetwas zwingen.« Morpheus grinste mich breit an. Im nächsten Augenblick hielt er einen Spiegel in der Hand, den er mir reichte. »Sieh selbst, was er damit meint.«
Argwöhnisch wanderte mein Blick zwischen ihm und dem Spiegel hin und her – als würde einer von beiden gleich nach mir schnappen wollen. Ich war auf alles gefasst. Zögernd legte ich meine Hand um den Griff aus Elfenbein, hob ihn vor mein Gesicht und betrachtete mein Spiegelbild.
Was ich erblickte, verschlug mir buchstäblich die Sprache. Da war die Frau von Noahs Gemälde. Und offensichtlich war ich diese Frau, doch ich sah irgendwie anders aus … strahlend. Ein anderes Wort fiel mir nicht dafür ein. In dieser Welt war etwas Seltsames mit mir passiert. Ich war nicht mehr die aufgeschossene, übergewichtige, blassgesichtige Dawn Riley. Ich war noch immer groß, wirkte aber wie eine Frau von klassischer Schönheit. Meine Kurven waren weich und wohlgeformt, und meine Haut schimmerte wie Perlmutt, strahlte, wie man es sonst nur in einer Make-up-Werbung sah. Ich war noch immer ich – nur sah ich viel besser aus.
Unsterblich. Ein Traumwesen königlicher Abstammung.
Fast war ich versucht, hier zu bleiben. Für immer.
Aber nur fast.
Ich drückte meinem Vater den Spiegel in die Hand, der ihn einfach nur ansah, und schon war er aus seiner Hand verschwunden.
»So funktioniert das nicht.« Ich blieb beharrlich. »Deine Tricks kannst du dir sparen. Ich werde nicht bleiben, und ich werde auch nicht irgendeinen dahergelaufenen Blödmann aus der Traumwelt heiraten, der glaubt, ich gäbe ein liebes Weibchen ab.«
»Tricks?« Da fühlte sich wohl jemand in seinem Stolz verletzt. »Du glaubst, ich will dich betrügen?«
»Genau das tust du.«
»Nein. Denn das wäre bei dir sinnlos.«
Aha. Sieh mal einer an. »So?«
»Du bist eine von uns, dir kann man nichts vorgaukeln – im Gegensatz zu anderen.«
Interessant. »Trotzdem. Ich bleibe nicht.«
Er zuckte mit den Schultern. »Davon bin ich auch nie ausgegangen. Nicht so selbstverständlich jedenfalls.«
»Vergiss es. Ich habe ein Leben auf der Erde. Mehr oder
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