Tochter der Träume / Roman
mich an diesem Freitagmorgen lieber auf dem Sofa zusammengerollt und ferngesehen hätte, statt zur Arbeit zu gehen. Mein Sternzeichen war Krebs. Meine erste Reaktion auf alles vage Bedrohliche war daher, mich eilends zu verkriechen, wie Krebse dies eben so taten.
Doch Verkriechen war keine Lösung, dafür bekam ich kein Gehalt. Also zog ich mir einen hellrosa Rollkragenpulli aus Chenille über, trug farblich passendes Lipgloss auf und hoffte, dass der Tag noch heiter werden würde.
Davon war zunächst nichts zu merken, denn es regnete. Feuchte Kälte stand New York nicht besonders gut, alles wirkte düster und grau. Die einzigen Farbtupfer waren die gelben Taxis im dichten Straßenverkehr und hier und da ein bunter Regenschirm unter den üblichen schwarzen.
In der U-Bahn saß ich neben einer verschnupften Frau, die sich so oft schneuzte, dass ich befürchtete, sie würde sich das Gehirn herauspusten. Ihr tropfender Regenschirm, der leicht geöffnet war, lehnte gegen mein Bein und durchnässte meine Hose. Zum Glück war die Hose schwarz, so dass der Fleck nicht sehr auffallen würde. Dafür rann das Wasser an meiner Wade hinab, so dass die feuchte Haut nach dem Aussteigen bei jedem Schritt am Schaft meines halbhohen Stiefels scheuerte.
Ich schaffte es, unter meinem fast nutzlosen Schirm nicht völlig durchnässt zu werden, als ich das kurze Stück zur Klinik zu Fuß ging. Dort angekommen, drückte ich den Summer, um hineinzugelangen, denn die Klinik würde erst in zwanzig Minuten öffnen. Der Fahrstuhl stand bereit, und ich drückte den Knopf für den zweiten Stock.
Das Licht im Foyer war wie üblich gedämpft, was beruhigend auf die Patienten wirken sollte. An so tristen Tagen wie heute, wenn eine gedämpfte Stimmung leicht deprimierend wirken konnte, erhellten zusätzliche Deckenlichter den Raum, damit alles freundlicher wirkte. Ich wusste nicht, ob dies ein geeignetes Mittel gegen Depressionen war, aber man konnte definitiv besser sehen.
»Guten Morgen, Bonnie«, trällerte ich, als ich aus dem Fahrstuhl trat.
Bonnie, makellos aussehend wie immer, kam gerade aus dem Archiv. »Hallo, Süße.« Sie setzte sich auf ihren Stuhl. »Nancy Leiberman hat gestern Abend eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen. Sie hätte gern gewusst, ob du sie heute einschieben könntest?«
Das war schnell gegangen. Mir war klar gewesen, dass ihre Hochstimmung nicht lange anhalten würde, aber ich hätte nicht gedacht, dass es so schnell damit vorbei wäre. Bis zu ihrer nächsten regulären Sitzung waren es noch ein paar Tage. Aber sollte Nancy wieder Alpträume haben …
»Hat sie gesagt, worum es geht?«
Bonnie zuckte mit den Schultern. »Schön wär’s. Dann könnte ich den gleichen Honorarsatz verlangen wie ihr Ärzte.«
Ich hob eine Braue und versuchte, mir ein Lächeln zu verkneifen, doch Bonnie grinste mich an, und ich spürte, wie meine Mundwinkel zuckten. »Halsabschneiderin.«
»Sie hat von einem Mann gesprochen. Kannst du damit etwas anfangen?«
Ja, das konnte ich durchaus. Eine neue Liebe erklärte Nancys aufgekratztes Verhalten. Dank des neuen Freunds glaubte sie, ihre Probleme wären verschwunden. Ich fragte mich, ob dieser Freund nun auch wieder verschwunden war und Nancy mit ihren Träumen allein zurückgelassen hatte.
»Würdest du sie bitte zurückrufen und ihr ausrichten, dass ich um halb eins Zeit für sie habe?« Meine Mittagspause würde etwas kürzer ausfallen müssen.
»Alles klar, Boss«, meinte sie und salutierte spaßhaft, wohingegen ihr Lächeln vollkommen echt war.
Ja, ich wusste, dass mein Verhältnis zu Bonnie alles andere als professionell war, aber das war mir wirklich egal. Ob ich in Bonnie so etwas wie eine Ersatzmutter sah? Nun, nach zehn Jahren Psychologiestudium konnte ich mich zwar selbst durchschauen, aber ich war schließlich auch nur ein Mensch.
Zur Hälfte jedenfalls.
Ich hatte es noch nicht einmal den halben Weg zu meinem winzigen Büro geschafft, als Bonnie meinen Namen rief. Noah stand vor der Tür und wollte mich sehen. Sie fragte, ob sie ihn hereinlassen dürfe. Zwar hatte sie ihren typischen, neckenden Ton angeschlagen, doch wenn ich nein sagen würde, würde sie ihn wegschicken, das wusste ich. Und ich wusste auch, dass ich mich nicht so unbändig freuen sollte, nur weil er jetzt hier war.
Ich hatte mir vorgenommen, ihn heute im Laufe des Tages anzurufen, falls ich wieder nichts von ihm hörte. Ich wollte nicht übereifrig wirken, aber nun suchte er mich bei
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