Tochter der Träume / Roman
unbedingt mehr Kraft und Stärke entwickelt haben.
Mein Vater machte eine Handbewegung, und sofort waren Wasser und Verbandszeug samt dem Tisch, auf dem alles gestanden hatte, verschwunden. »Es sind nur sehr wenige, die es wagen würden, meinen Zorn zu wecken, indem sie ihrer Prinzessin etwas zuleide tun. So wenig auch über deine Fähigkeiten bekannt ist, sie werden es sich trotzdem zweimal überlegen, bevor sie es mit dir aufnehmen.«
Nur zweimal? Etwas öfter wäre mir lieber. Außerdem hatte Morpheus mir keine richtige Antwort auf meine Frage gegeben. In seiner Welt war ich zwar unsterblich, aber nur was natürliche Todesursachen betraf. Getötet werden konnte ich auch hier.
»Genug der Worte. Du bist schließlich gekommen, um zu lernen.« Dieses Mal machte mein Vater weder eine Handbewegung, noch hatte er sich sonst irgendwie gerührt, aber die Halle verschwand und wich einer Bibliothek im englischen Stil mit schweren Lehnsesseln und einem mächtigen Kamin.
Mir fiel auf, dass es nur zwei Stühle gab und nur zwei Tassen auf dem Tisch standen. »Kommt Mom nicht?« Ich versuchte, so zu klingen, als sei es mir egal. Aber insgeheim hatte ich gehofft, dass sie es nach all den Jahren kaum erwarten konnte, mich zu sehen. Ich hätte es besser wissen müssen.
Morpheus wich meinem Blick aus. »Sie dachte, du würdest dich vorerst ohne ihr Beisein wohler fühlen.«
Sie kannte mich offenbar besser, als ich dachte. »Da hat sie recht.« Ich begab mich zu einem der dick gepolsterten Sessel und ließ mich hineinsinken. Das Leder fühlte sich wider Erwarten warm an und schmiegte sich wie eine lüsterne Hand um meinen Allerwertesten. Angenehm.
»Hab Nachsicht mit ihr, Dawn.«
Ich sah ihn an – nein, ich starrte ihn
finster
an –, während er mir gegenüber Platz nahm. »Sie hat ihren Mann verlassen, ihre Kinder und Enkelkinder, nur damit sie bei dir sein kann. Sie hat mich verlassen. Da kann ich verdammt noch mal so hart und unnachsichtig sein, wie ich will.«
Er zuckte mit keiner Wimper. »Sie hat dich nicht verlassen. Du wusstest immer, wo du sie finden kannst.«
»Jetzt komm mir nicht damit, dass ich ihr Liebling bin.« Zorn wallte in mir auf. »Wenn ich nicht zufällig dein Kind wäre, hätte sie sich auch von mir losgesagt.«
»Ist es denn so falsch von ihr, ein bisschen Glück zu wollen?«
Ich biss die Kiefer so fest aufeinander, dass es gefährlich knirschte. »Ja.«
Morpheus musterte mich mit undurchdringlicher Miene. Es war mir egal, was er von mir dachte. Meine Gefühle waren vollkommen berechtigt, und daran würde er nichts ändern. Und wie es schien, hütete er sich wohlweislich, es zu versuchen.
»Lass uns die Zeit, die du hier bist, so gut wie möglich nutzen«, sagte er, ganz der Diplomat. »Ich habe mit Icelus gesprochen, und er hat mir zugesichert, dass er Karatos unverzüglich vernichten will.«
Das besänftigte meinen Zorn. »Danke.«
Das kleine Wort zauberte ein erfreutes Lächeln in sein zerfurchtes Gesicht. »Ich dachte, wir könnten ein wenig plaudern und bereden, was wir voneinander erwarten.«
Ich griff nach der Tasse, die vor mir stand. Elterliche Erwartungen. Fabelhaft. »Ich würde dir gern ein paar Fragen stellen.«
»Nur zu!«
»Ist es möglich, dass Karatos Menschen tötet, während sie schlafen?«
»Leider ja.«
»Würden derlei Todesfälle irgendwie suspekt erscheinen?«
»Nein. Man würde denken, dass diese Menschen auf unerklärliche Weise im Schlaf gestorben sind. Einige Dämonenopfer haben einen Herzinfarkt erlitten.«
Karatos könnte also tatsächlich für die jüngsten SUNDS -Fälle verantwortlich sein. Mistkerl. »Was könnte Karatos von einem luziden Träumer wollen?«
Morpheus furchte die Stirn. »Energie, nehme ich an. Ein Traumdämon schöpft aus einem starken Träumer jede Menge Energie.«
Wie ich vermutet hatte, benutzte Karatos Noah als seine persönliche Ladestation. Töten verbrauchte eine Menge Energie, die dieser Mistkerl bei Noah wieder auftankte.
»Warum hat Antwoine Jones versucht, dich umzubringen?«
Mit dieser Frage hatte er nicht gerechnet. Die Farbe wich aus seinem Gesicht, als hätte ich ihm einen heftigen Schlag versetzt. Doch kurz darauf schoss ihm eine tiefe Röte in die Wangen. Der bloße Name des alten Mannes versetzte meinen Vater sichtlich in Rage.
»Woher kennst du ihn?«
Ich hob eine Braue. »Antwoine?« Er nickte, und ich verdrehte die Augen. Nicht einmal der Name des alten Mannes wollte ihm über die Lippen kommen. »Ich habe
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