Tochter der Träume / Roman
immer ab, wenn ich versuchte zu meditieren, doch diesmal schaffte ich es, bei der Sache zu bleiben. Vielleicht war ich doch kein hoffnungsloser Fall. Ich spürte die Wärme am ganzen Körper und war vollkommen entspannt.
Ich öffnete die Augen mit schweren Lidern und fahrigem Blick. Vor mir waberte ein schwach schillernder Lichtstreif in der Luft. Er flimmerte wie das Licht einer Fernsehmattscheibe, das durch einen Türspalt fiel. Es war das Portal zur Traumwelt. Jetzt wusste ich, dass ich in der Lage war, es mit einem simplen Gedanken heraufzubeschwören. Doch erst musste ich wieder zu Atem kommen, so überrascht war ich über mich selbst, dass es mir so rasch gelungen war. Ob ich wirklich imstande war, mich auf diese Art in die Traumwelt zu begeben?
Ich setzte mich aufrecht hin und streckte beide Hände aus. Eine Wärme durchrieselte mich, als meine Finger in den hellen Lichtspalt tauchten. Ich zog daran, um ihn zu weiten. Ich war wie ein Schmetterling, der die hauchdünne Membran seines Kokons durchbrach, um in neuer Gestalt daraus hervorzugehen. Dieser Vergleich drängte sich mir geradezu auf, da das Eintreten in die Traumwelt eine Verwandlung war, bei der ich die sterbliche Dawn Riley hinter mir ließ und von einer Anmut und Stärke erfüllt wurde, die nicht von dieser Welt war. Doch diesen Gedanken wollte ich lieber nicht weiterverfolgen. Ich eine Göttin? Das war selbst für mich eine ziemlich abgefahrene Vorstellung.
Das Portal stand schulterbreit offen, so dass ich hindurchkriechen konnte. In der Traumwelt angekommen, bekleidete ich mich mit Jeans, einem T-Shirt und Ballerinas, denn halbnackt fühlte ich mich in der Öffentlichkeit nicht wirklich wohl. Ich befand mich in der großen Halle des Schlosses. Ich hätte mich auch direkt in die Privatgemächer meines Vaters begeben können oder in die Räume, die er für mich vorgesehen hatte. Aber die unpersönliche Halle war mir lieber. Ich wollte nicht allzu vertraut werden mit dem Schloss, aber ich wollte mich auch nicht außerhalb seiner Gemäuer aufhalten, wo mich der Nebel und die Geschöpfe, die in ihm wohnten, fangen könnten.
Ich blickte auf und sah meinen Vater durch eine Bogentür am hinteren Ende der Halle kommen. Als Schlossherr machte er in dem schneeweißen Hemd und einer schwarzen Bundfaltenhose eine perfekte Figur.
»Du siehst aus wie einer Werbekampagne von Abercrombie & Fitch entsprungen«, sagte ich mit einem zurückhaltenden Lächeln, als er in Hörweite kam.
Er schmunzelte. »Das sagt deine Mutter auch immer.«
Mit diesem Satz hatte er das, was meine gute Laune hätte werden können, schlagartig zunichtegemacht. »Ach ja? Ist sie auch da? Ich muss nämlich mit euch beiden sprechen.«
Die Freude in seinem Gesicht war kaum zu übersehen. Dass sich die Begeisterung auf meiner Seite jedoch in Grenzen hielt, schien er nicht zu bemerken. Wenn ich mich auf ein rührseliges Wiedersehen mit meiner Mutter gefreut hätte, hätte meine Reaktion dann nicht enthusiastischer ausfallen müssen?
Morpheus regte sich nicht. Sagte nicht einmal etwas. Doch kaum hatte ich geäußert, auch meine Mutter sprechen zu wollen, trat sie durch die gleiche Tür, durch die er kurz zuvor gekommen war. In einer elfenbeinfarbenen Kaschmirhose und einem ärmellosen Rollkragenpulli sah sie ebenso schick aus wie er. Als ich ihre hoffnungsvolle Miene sah, wandte ich den Blick ab. Sie trieb mir die Tränen in die Augen.
»Du wolltest uns sprechen, Dawn?«
Ich sah sie wieder an, verzog aber keine Miene. »Ja. Joy hat mich heute Abend angerufen.«
Morpheus drehte den Kopf. »Deine Tochter?«
»Du kennst sie nicht.« Mein loses Mundwerk würde mich irgendwann noch einmal Kopf und Kragen kosten. »Und sie hat auch keine Ahnung von dir.«
Meine Eltern wandten sich mir als eine Einheit zu, und ich spürte, wie ihre Enttäuschung auf mir lastete. Ich seufzte.
»Wie geht es ihr?«, fragte meine Mutter und hob das Kinn leicht an.
»Gut. Auch deine Enkel sind wohlauf.«
»Ich weiß. Morpheus zeigt mir ihre Träume.«
Ich richtete meinen Blick auf meinen Vater. »Wie reizend von dir.« Was bildeten sich die beiden bloß ein? Dass sie nur ein bisschen Traumspion spielen mussten, und alles wäre in Butter?
Seine Miene verfinsterte sich, als er den Mund öffnete. Doch ich schnitt ihm die Worte ab, noch ehe er etwas sagen konnte. »Sie rief an, um mir zu sagen, dass sie einen neuen Spezialisten hinzuziehen wollen. Einen Neurologen.«
»Das haben sie schon öfter getan«, sagte
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