Tochter der Träume / Roman
nutzte die Gelegenheit und schlug ihm, so hart ich konnte, ins Gesicht.
»Lass meine Freunde in Ruhe.« Ich keuchte und spürte den Adrenalinrausch, doch meine Worte waren klar und deutlich zu hören. »Hast du verstanden, du mieser Scheißkerl?«
Seine Antwort war ein Schlag in meine Magengrube. Ich sackte zusammen, sah Sterne und rang nach Atem. Dem folgte ein Tritt an den Kopf, der mir in der realen Welt das Genick gebrochen hätte.
Ich lag auf dem Rücken und glaubte, mich jeden Moment übergeben zu müssen, als Karatos herankam, sich über mich beugte und sich mit einer Hand neben meinem Kopf aufstützte.
»Ich sollte dich töten«, murmelte er und strich mir mit den Fingern der anderen Hand über die Wange. »Das sollte ich eigentlich tun, aber irgendwie mag ich deinen Kampfgeist.«
Sollte ich
…? »Echt?«, keuchte ich. »Danke auch.«
Karatos beugte sich zu mir herab und leckte mit der Zunge über meine trockenen Lippen. Ich versuchte ruckartig, meinen Kopf wegzuziehen, doch bei der Bewegung explodierte der Schmerz hinter meiner Stirn. »Nicht doch«, sagte er mit samtweicher Stimme. »Ich will dir nicht weh tun.«
Ich starrte in seine schaurig-schönen Augen. »Und Noah vermutlich auch nicht?«
Er lächelte – hinreißend, aber auch bedrohlich. »Ich hege nicht die Absicht, Noah etwas zuleide zu tun – noch nicht. Er ist sehr wichtig für mich.«
Die nackte Angst packte mich, doch ich überging die versteckte Drohung. »Wichtig, inwiefern?«
Sein Lächeln schwand. »Hm. Du weißt doch, dass ich dir das nicht verraten werde.«
Natürlich nicht. Wäre auch zu einfach gewesen. »Wenn er so wichtig für dich ist, warum machst du ihm dann das Leben zur Hölle?«
»Nun, manchmal verletzt man diejenigen, die man am meisten liebt. Deine Mutter könnte ein Lied davon singen.«
In jedem anderen Moment hätte diese Bemerkung weh getan, doch jetzt gerade war ich zu beschäftigt damit, mich vor Schmerzen zu winden. »Was weißt du schon davon. Gar nichts. Und von mir weißt du auch nichts.«
Er streichelte mir immer noch über die Wange. »Ich weiß, dass ich dich lehren könnte, dein Potenzial voll auszuschöpfen, Dawnie.«
Ich starrte ihn an. »Danke, aber ich habe bereits Hilfe. Es wäre mir lieber, du würdest mich töten.«
»Wie du wünschst«, meinte er mit einem Schulterzucken.
Während er ein Stück zurückwich, griff ich in meinen Ärmel und zog den Marae-Dolch aus dem Futteral. Ich hatte keine Ahnung, wie er mit mir in die Traumwelt gekommen war. Es war mir gar nicht aufgefallen. Erst als ich daran dachte, wie gut es wäre, ihn bei mir zu haben, hatte ich die Lederscheide an meinem Arm bemerkt. Schnell fuhr ich auf, ignorierte meine Schmerzen, obwohl sie mich fast lähmten, und stieß ihm den Dolch mitten in die Brust.
Ich hoffte, ihn tödlich getroffen zu haben.
Seine Schreie hallten in meinem schmerzenden Schädel wider, während er nach hinten auf den Felsen schlug. Ich lächelte. Getroffen hatte ich ihn, und das offenbar nicht schlecht.
Das Flimmern vor meinen Augen klärte sich langsam, und ich sah, wie Karatos sich mühsam aufzurappeln versuchte, während der Dolch knapp unter seinem Brustbein steckte. Verdammt! Sein Gesicht war schlohweiß, als er nach dem Dolchgriff langte und langsam daran zog, was ein ekelhaft schmatzendes Geräusch erzeugte. Er hob den Kopf und sah mich an.
Verdammt. Jetzt war er rasend vor Zorn und dazu bewaffnet.
Doch was war das? Seine Hand, mit der er den Dolch fest umklammert hielt, begann zu qualmen. Dieser Dolch war dazu bestimmt, von niemandem außer einem Traumwesen benutzt zu werden, was aber nicht bedeutete, dass ein anderer ihn nicht ebenso schwingen konnte – nur sorgte der Dolch selbst dafür, dass das verdammt schwierig für denjenigen wäre.
Karatos würde mich trotzdem umbringen. Nein. Das wollte ich auf gar keinen Fall, wie mir schlagartig bewusst wurde. Ich handelte spontan, ohne zu überlegen – was bei mir normalerweise immer schiefging –, öffnete den Mund und schrie nach meinem Vater. »Morpheus! Morpheus!«
Karatos stockte jäh, sein suchender Blick schweifte umher. Und diesen Moment nutzte ich, um den Dolch wieder zurück in meine Hand zu rufen. Karatos blickte auf seine hohle Hand hinab, die eben noch den Dolch umklammert hielt. Sprachlos vor Erstaunen sah er mich an und stürzte sich kurz darauf vom Felsen hinab in den wabernden Nebel, der ihn verschlang, bis er komplett verschwunden war.
Da stand auch schon Morpheus
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