Tochter Der Traumdiebe
und aufhängte. »Nun, mein Vater, freust du dich denn nicht, mich zu sehen?«
Mit belustigt funkelnden Augen sah sie mich offen an.
Ich musste lächeln. »Natürlich freue ich mich«, sagte ich. »Auch wenn es kein Melnibonöer von königlichem Geblüt jemals zugeben würde.«
»Nun ja«, sagte sie, »dann bin ich froh, dass ich keine königliche Melnibon£erin bin.«
»Ich bin einer der Letzten, soweit ich weiß«, erwiderte ich.
»So ist es«, sagte sie. »Das scheint der Wahrheit zu entsprechen. Melnibone« fällt, aber das Blut lebt weiter. Altes Blut und alte Erinnerungen.«
»Verzeiht mir, wenn ich so unhöflich unterbreche«, sagte ich, »aber Ihr sagtet gerade, Ihr hättet mich hergeholt, weil es einen wichtigen Grund gäbe.« Ich brachte es nicht mehr über mich, sie anders als formell anzureden.
»Ich kann Euch mit meinen Fähigkeiten helfen, Vater«, erklärte sie. »Ich kann Euch helfen, das Schwert zurückzubekommen und vielleicht sogar helfen, Euch an denen zu rächen, die es Euch gestohlen haben.«
Wieder hätte ich eine Hinterlist vermuten müssen, aber meine Tochter überzeugte mich vollständig. Ich wusste, dass diese ganze Episode vielleicht nur ein Zug in einem Zauberspiel war, das die Ordnung mit mir spielte. Doch es schien, als hätte ich keine andere Wahl. Ich musste ihr vertrauen oder gelähmt auf meinem Lager in Tanelorn liegen bleiben, unfähig, mein Schwert zurückzugewinnen oder mich an denen zu rächen, die es mir gestohlen hatten.
»Kennt Ihr denn die Zukunft?«, fragte ich aufgebracht.
»Ich kenne mehr als eine«, gab sie ruhig zurück.
Sie erklärte mir, dass das Multiversum aus Millionen von Welten besteht, die sich alle geringfügig von unserer eigenen unterscheiden. In jeder dieser Welten kämpfen gewisse Kräfte ewig für die Gerechtigkeit. Manchmal für die Ordnung, manchmal für das Chaos. Manchmal ausdrücklich für das Gleichgewicht. Die meisten Menschen wissen nicht, dass auch andere Versionen ihrer selbst kämpfen. Jede Geschichte sieht ein wenig anders aus. Nur sehr selten gelingt es, der ganzen Geschichte eine neue Richtung zu geben. Manchmal können verschiedene Menschen ihre Stärken zusammentun. Dies war die Hoffnung, auf der meine Tochter ihre außergewöhnliche Strategie aufbaute.
Sie hielt es für möglich, dass zwei oder mehr Inkarnationen in ein und demselben Körper wohnten, wenn der Körper von ihrem eigenen Blut war. Ich brauchte einen physischen Körper und ein physisches Schwert. Sie glaubte beides gefunden zu haben.
Sie sprach vom Grafen von Bek, erzählte von seiner Klinge und seinem eigenen Kampf gegen korrupte Herrscher. Sie glaubte, so sagte sie mir, unsere Schicksale seien an diesem Punkt in den kosmischen Reichen miteinander verknüpft. Er und ich seien Inkarnationen ein und desselben Wesens. Ich könnte ihm helfen und er könnte mir helfen, indem er mir seinen Körper und sein Schwert lieh.
Ich sagte, ich müsste darüber nachdenken.
Traumlos vielleicht, da ich schon in einem Traum lebte, ruhte ich in Oonas Hütte im Grenzland der Zeit in der so genannten Mittelmark. Während ich ausruhte, weihte meine Tochter mich in einige Geheimnisse der Traumdiebe ein. Sie erzählte mir, wie man auf den Straßen zwischen den Reichen reiste. Es waren Reiche, die wir für übernatürlich hielten, die von ihren Bewohnern jedoch als völlig alltägliche Welten betrachtet wurden. Sie besaß die Bibliothek ihrer Mutter und konnte mir alte Geschichten, neue wissenschaftliche Ideen und die Theorien von Philosophen zeigen, und alle sagten, dass Träume als Einblicke in andere Zeiten und Gegebenheiten betrachtet werden könnten. Manche hatten begriffen, was Oona wusste - dass die Welten unserer Träume eine physische Realität besitzen und nicht ohne weiteres beeinflusst werden können, dass es von jedem Menschen verschiedene Versionen gibt, die in all den Milliarden Alternativwelten leben und dass irgendwie alle unsere Handlungen in einem größeren Ganzen verknüpft sind, das den ganzen Kosmos umfasst und das von unvorstellbaren Ausmaßen ist, ein Gerüst der Ordnung, die wir entweder stützen oder gefährden, je nachdem, wem wir Treue geloben und wonach wir streben.
Als ich eines Morgens ein Buch mit Bildern anschaute, die einer von Oonas Vorfahren gemalt hatte, fragte ich meine Tochter, ob sie wirklich überzeugt sei, dass wir uns gegenseitig träumten. Existieren wir wirklich nur, weil unser Wille es so bestimmte? Ließen wir uns selbst und unsere Welten
Weitere Kostenlose Bücher