Tochter Der Traumdiebe
fragte ich, als mir die verschiedenen Formen einfielen.
»Wir nennen es den Runenstab«, erklärte er, »es nimmt aber verschiedene Formen an. Es ist ein Stab und ein Kelch und ein Stein und einer der größten Regulatoren unserer Realitäten.«
»Ist es das, was mein Volk den Heiligen Gral nennt?« Ich erinnerte mich auch an von Eschenbach und einige unserer Familienlegenden. »Waren Sie seine Hüter?«
»In diesem Reich«, bestätigte er. »Und in diesem Reich haben wir versagt.«
»Wollen Sie damit sagen, dass es in anderen Reichen verschiedene Versionen des Grals gibt?«
Der Gelehrte Crina bedauerte. »Es gibt nur einen Großen Stab«, sagte er. »Er repräsentiert das Gleichgewicht. Manche sagen, er selbst sei das Gleichgewicht. Sein Einfluss erstreckt sich auf viele Reiche jenseits des Reichs, in dem er aufbewahrt wird.«
»Angeblich soll meine Familie einst den Gral gehütet haben«, erklärte ich ihm. »Doch er wurde unserer Obhut entrissen. Wahrscheinlich haben auch wir das in uns gesetzte Vertrauen enttäuscht.«
»Der Runenstab hat die Kraft, seine äußere Form zu verändern und sich nach eigenem Willen zu bewegen«, erwiderte der Gelehrte Crina. »Manche sagen, er könne die Gestalt eines Kindes annehmen. Warum auch nicht, wenn er jede Gestalt annehmen kann, die ihm zusagt? Auf diese Weise schützt und verteidigt er sich. Auf diese Weise schützt er auch diejenigen, die ihn achten und verteidigen. Es ist nicht immer vorhersehbar, welche Form er annimmt.«
»In welcher Form hat Gaynor ihn jetzt in Besitz genommen?«, wollte Oona wissen.
»In Form eines Kelchs«, erklärte der Gelehrte. »In Form eines edlen Trinkgefäßes. Damit - und mit den beiden Schwertern, die er jetzt hat - besitzt er eine größere Macht als jeder Sterbliche vor ihm und kann das Schicksal ganzer Welten verändern. Da selbst die Götter kaum verstehen, was geschieht, könnte er damit sogar Erfolg haben. Denn es ist bekannt, dass ein Sterblicher eines Tages die Götter vernichten wird.«
Ich gab nicht viel auf seine Worte, es klang mir zu sehr nach Legenden und Aberglauben, zugleich aber durchfuhr mich auch das Gefühl, auf etwas Vertrautes gestoßen zu sein. Ich versuchte mich zu erinnern, wo ich schon einmal eine ähnliche Geschichte gehört hatte, die der Mythologie meines eigenen Zeitalters und meiner Mitmenschen angepasst war, die Geschichte vom Heiligen Gral und seiner Fähigkeit, die Schmerzen der Welt zu heilen. Auch in dieser Legende gab es einen Sterblichen, der den Lauf der Welt veränderte.
Ich rief mich zur Ordnung. Das war ja beinahe, als hätte ich eine Überdosis Wagner genossen. Ich mochte die klaren Verhältnisse eines Mozart oder Liszt lieber, die viel eher den Intellekt als die Emotionen ansprachen. War es das, was ich wiedererkannte? War ich irgendwie in einer verworrenen Wagner-Oper gelandet? Ich schauderte bei dem Gedanken. Doch selbst die monumentalen Ereignisse des Ringzyklus waren nichts verglichen mit dem, was ich bereits gesehen hatte.
Ich wandte mich an Oona. »Sie haben etwas über meine besondere Beziehung zum Gral gesagt. Was meinten Sie damit?«
»Nicht jeder genießt das Privileg, ihm dienen zu dürfen«, sagte sie.
Sie schien kurz angebunden und nicht sehr zuversichtlich. Ich glaube, sie hatte nicht erwartet, dass Gaynor so weit käme.
Ein eigenartiger Gestank erfüllte die Luft. Eine Mischung aus tausend verschiedenen Gerüchen, unter denen kein einziger angenehm war. Der Geruch des Bösen.
Ich konnte immer noch nicht sehen, wie Gaynor die Off-Moo so leicht hatte schlagen können und sagte dies dem Gelehrten.
»Aber Sie wissen doch noch nicht«, antwortete er, »ob Gaynor uns tatsächlich geschlagen hat. Das Spiel ist noch nicht vorbei.«
Ich verzichtete auf eine Antwort, doch soweit ich es sehen konnte, hatte Gaynor diesen Abschnitt des Spiels nach allen Regeln der Kunst für sich entschieden.
Elric wollte wissen, wo sich Gaynor jetzt befand und ob es möglich sei, ihn zu Fuß einzuholen.
»Er ist mit seiner Armee zum Nebelgrund gezogen. Er glaubt, er könnte die ganze Macht des Multiversums an sich reißen. Das ist eine Täuschung, doch diese Illusion wird uns alle töten, wenn ihn nicht jemand aufhält.« Ich hatte den Eindruck, dass mich der Gelehrte Crina fragend anschaute.
Doch es war Prinz Elric, der antwortete. »Ich bin von diesem Geschöpf beleidigt und gedemütigt worden. Ich wurde getäuscht. Wie viel Macht er jetzt auch besitzt, er wird meiner Rache nicht
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