Tochter Der Traumdiebe
Hess. Oona war nicht da. Das konnte bedeuten, dass sie die Gefahr rechtzeitig erkannt hatte. Befanden sich ihre Waffen noch im Wagen? Konnte sie Hitlers Klauen wenigstens den Gral entreißen?
Auf einmal wusste ich, dass ich sterben würde. Ich hatte keine Hoffnung, mich wieder zu erholen, wenn Oona mich nicht rettete. Selbst ohne Fesseln konnte ich das Schwert nicht erreichen, das jetzt wie eine Art Trophäe auf dem Altar lag. Die Nazis achteten peinlich darauf, es nicht zu berühren und starrten es an, als wäre es eine gefährliche schlafende Schlange, die sich jederzeit aufrichten und beißen konnte.
Ich nahm an, das Schwert sei meine einzige Chance zu überleben und noch dazu eine sehr dünne. Ich war schließlich nicht Elric von Melnibone\ sondern ein einfacher Mensch, der in natürliche und übernatürliche Ereignisse verstrickt worden war, die weit über sein Verständnis gingen. Außerdem musste ich bald sterben.
Die Feuchtigkeit der schweren Bandagen an meiner Seite sagte mir, dass ich eine Menge Blut verloren hatte. Ich konnte nicht wissen, ob wichtige Organe verletzt waren, aber darauf kam es kaum noch an. Die Nazis würden ganz sicher keinen Arzt für mich rufen. Ich konnte mir nicht vorstellen, was für ein ›Experiment‹ Klosterheim mit mir vorhatte.
Es kam mir vor, als würden die Männer auf etwas warten. Hitler, der beinahe so nervös wirkte wie Hess, erinnerte mich an einen ungeduldigen fliegenden Händler, der förmlich darauf brannte, irgendwo anzuecken. Er sprach ein geziertes Hochdeutsch, wie man es vom österreichischen Kleinbürgertum kennt. Obwohl er im Augenblick der mächtigste Mann der Welt war, hatte er etwas Schwächliches an sich. Ich fragte mich, ob dies die Banalität des Bösen war, die mein Freund, der Jesuitenpriester Pater Cornelius, vor seiner Abreise nach Afrika erwähnt hatte.
Ich konnte nicht viel von dem verstehen, was besprochen wurde, aber es konnte nichts Wichtiges sein. Hitler lachte und klatschte sich mit den Handschuhen auf den Schenkel. Das Einzige, das ich gut verstand, war die Bemerkung: »Die Briten werden bald um Gnade winseln. Und wir werden uns als großzügig erweisen, meine Herren. Wir werden ihnen erlauben, ihre Institutionen zu behalten. Sie dienen in idealer Weise unseren Zwecken. Aber zuerst müssen wir London zerstören, nicht wahr?«
Ich war überrascht, dass dies der Gegenstand der Besprechung war. Ich dachte, es hätte mit den ›Kraftgegenständen‹ zu tun, die Gaynor vom Nebelgrund mitgebracht hatte.
Dann öffnete sich die Tür und Gaynor trat ein. Er war vollständig schwarz gekleidet und hatte einen schwarzen Mantel über die Rüstung gezogen. Er sah aus wie ein Ritter aus diesen unausrottbaren Historienfilmen, die die Nazis so gern sahen. Ein kupfernes Hakenkreuz war auf den Brustharnisch gebrannt, ein zweites auf den Helm. Er kam mir vor wie ein dämonischer Siegfried. Die Hände hatte er um den Griff des großen Runenschwerts aus Elfenbein gelegt. Er trat mit dramatischer Geste zur Seite, damit zwei seiner Männer eine sich wehrende, gefesselte Frau hereinschleppen konnten.
Mein Herz sank. Unsere letzte Hoffnung war dahin. Sie hatten Oona geschnappt.
Sie trug nicht mehr die Nazi-Uniform, sondern ein schweres, beigefarbenes Kleid, das sie vom Kopf bis zu den Füßen einhüllte. Auch dieses Kleid wirkte ein wenig mittelalterlich. Kragen und Ärmel waren mit roten und schwarzen Hakenkreuzen besetzt. Das wundervolle weiße Haar wurde von einem silbernen Haarnetz gehalten, die Augen funkelten wie dunkle Granate in dem hellen, schönen Gesicht. Auch sie war hilflos, an Händen und Füßen gefesselt. Das Gesicht wirkte ausdruckslos, die Lippen beherrscht zusammengepresst. Als sie mich sah, breitete sich Entsetzen in den wilden Augen aus. Der Mund öffnete sich zu einem stummen Schrei, dann wurde er wieder fest geschlossen. Nur die Augen bewegten sich noch.
Ich wollte sie trösten, doch es gab keinen Trost.
Es war klar, dass wir sterben sollten.
Nachdem er die anderen begrüßt hatte, verkündete Gaynor triumphierend: »Nun kommt das Spiel, das ich geplant habe, zu seinem Abschluss. Diese beiden verräterischen Geschöpfe werden jetzt zur Rechenschaft gezogen. Beide haben sich zahlreicher Verbrechen gegen das Reich schuldig gemacht. Ihr Schicksal wird jedoch ein edles sein. Edler als sie es verdient haben. Der Gral und das Schwarze Schwert befinden sich jetzt in unserem Besitz. Wir haben das Opfer, das wir brauchen, um den letzten Zauber
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