Tochter Der Traumdiebe
den Leib, und jeder Streich verstärkte irgendwie die Kraft, die durch meine Adern tobte. Ich vergaß alle Schmerzen, alle gebrochenen Knochen. Ich schrie diesen Namen heraus und hatte den Raum binnen weniger Sekunden in ein Schlachthaus verwandelt. Überall lagen Tote und abgetrennte Gliedmaßen herum.
Der zivilisierte Mann hätte Ekel empfunden, aber dieser zivilisierte Mann war mir von den Nazis aus dem Leib geprügelt worden. Jetzt war nur noch blinde Wut in mir, ein blutrünstiges, besinnungslos tobendes Ungeheuer. Ich leistete dem Ungeheuer keinen Widerstand. Es wollte töten, ich ließ es töten. Ich glaube, ich lachte sogar. Ich glaube, ich rief, dass Gaynor zu mir kommen sollte. Ich hatte das Schwert, das er suchte. Es wartete auf ihn.
Hinter mir tauchten Häftlinge im Flur auf, die offenbar noch nicht sicher waren, ob es sich um einen Trick handelte. Ich warf ihnen alle Schlüssel aus der Wachstube hinüber und machte, dass ich nach draußen in die Nacht verschwand. Als ich den Innenhof erreichte, gingen im Schloss die Lichter an. Die SA-Männer hatten die ungewöhnlichen Schreie und den beunruhigenden Lärm im Zellentrakt gehört. Ich humpelte wie ein alter verwundeter Wolf übers Gelände bis zu den Hütten, wo die weniger glücklichen Gefangenen eingesperrt waren. Wer mir drohte oder Anstalten machte, auf mich zu schießen, wurde getötet. Wie eine Sense im Gras fegte das Schwert Holztore, Stacheldraht und Männer fort. Ich hackte die Holzständer eines MG-Postens durch und sah das Gerüst zusammenbrechen. Es riss den Zaun nieder, was die Flucht erheblich erleichterte. Im Nu hatte ich die Hütten erreicht und schlug die Vorhängeschlösser und Riegel von den Türen herunter.
Ich weiß nicht, wie viele Nazis ich tötete, bis alle Hütten geöffnet waren und die Gefangenen, viele von ihnen noch völlig verängstigt, nach draußen strömten. Auf den Schlossmauern hatte man einen Suchscheinwerfer in Betrieb genommen und ich hörte Schüsse knallen, die offenbar willkürlich auf die Gefangenen abgegeben wurden. Dann sah ich eine Gruppe Insassen mit gestreiften Uniformen die Mauer hinaufsteigen, dem Suchscheinwerfer entgegen. Sekunden später lag das Gelände im Dunklen, nachdem auch die übrigen Lichter zerstört worden waren. Ich hörte Major Hausleitners Stimme, vor einem Dutzend verschiedener Ängste schrill geworden, den Tumult überbrüllen.
Gott weiß, was sie von mir dachten, als ich mit dem großen Langschwert in einer verletzten Hand, die leichenblasse Haut mit Blut bedeckt, die roten Augen vor ungezügelter Rachsucht lodernd, herumlief und einen fremdartigen Namen rief.
Arioch! Arioch!
Welcher Dämon auch von mir Besitz ergriffen hatte, er teilte meine Ansichten über die Heiligkeit des Lebens nicht. Hatte dieses Ungeheuer schon immer in mir geschlummert und nur darauf gewartet, dass es erweckt würde? Oder war es mein Doppelgänger, den ich mit dem Schwert verwechselte, der eine solch barbarische Befriedigung aus erbarmungslosem Blutvergießen zog?
Maschinenpistolen begannen rings um mich zu knattern. Ich rannte mit den anderen Gefangenen in die Sicherheit der Mauern und Hütten. Einige Häftlinge, die offenbar Erfahrungen im Straßenkampf besaßen, nahmen den Männern, die ich getötet hatte, rasch die Waffen ab. Bald darauf knallten in der Dunkelheit Schüsse, die in die andere Richtung gezielt waren, und mindestens eine Maschinenpistole verstummte.
Die Gefangenen brauchten mich nicht mehr. Ihre Anführer waren diszipliniert und fähig, rasche Entscheidungen zu treffen.
Nachdem jetzt im Lager ein heilloses Durcheinander herrschte, kehrte ich zum Schloss zurück und stieg die Treppe hinauf, um Gaynors Quartier zu suchen.
Ich hatte kaum das erste Stockwerk erreicht, als ich die mit einer Kapuze bekleidete Jägerin sah, die ich zuvor zusammen mit Herrn El gesehen hatte, jene geheimnisvolle ›Diana‹, die mir auch im Traum erschienen war. Wie üblich verbargen sich die Augen hinter getönten Brillengläsern. Das helle Haar schien gelöst. Sie war, genau wie ich, ein Albino.
»Sie haben keine Zeit für Gaynor«, warnte sie mich. »Wir müssen hier so schnell wie möglich verschwinden, ehe es zu spät ist. Im Ort, in Sachsenburg, ist eine ganze Garnison von SA-Männern stationiert und irgendjemand hat sie sicher schon übers Telefon verständigt. Kommen Sie, folgen Sie mir. Wir haben ein Auto.«
Wie hatte sie nur ins Gefängnis eindringen können? Hatte sie mir das Schwert gebracht? Oder
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