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Tochter Der Traumdiebe

Tochter Der Traumdiebe

Titel: Tochter Der Traumdiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
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präsentieren konnte. Alle möglichen Tiere und Figuren aus Volkssagen zierten als Schnitzwerk die Häuser, Bibelsprüche und Goethe-Zitate waren eingraviert, Wappen und Tafeln veranschaulichten die Sagen, die in dieser Region überliefert wurden.
    Am Rathaus prangte ein Relief, auf dem ein Löwe zu sehen war, der eine Mutter und ihr Kind angriff, während zwei Männer vergebens versuchten, das Tier zu verscheuchen. Das unter dem Namen ›Alt Lemgo‹ bekannte Haus war mit allen möglichen Pflanzenornamenten verziert, doch das schönste Haus von allen war meiner Erinnerung nach das Hexenbürgermeisterhaus, ein Gebäude aus dem sechzehnten Jahrhundert in der Breite Straße, das an einen besonders leidenschaftlichen Hexenjäger erinnerte. Ich konnte es kurz sehen, als der Wagen durch die verschlafenen Straßen fuhr. Die breite Front des Fachwerkhauses verjüngte sich nach oben zum Giebel, wo eine Christusfigur die ganze Welt in den Händen hielt, während weiter unten Adam und Eva einen Vorbau stützten. Alle Holzteile waren reich und phantasievoll mit Schnitzereien verziert. Ein altes deutsches Haus, dessen reizvoller Eindruck ein wenig litt, wenn man wusste, dass es seinen Namen von einem berühmten Hexenjäger, dem Bürgermeister Cothmann, bekommen hatte, der im Jahre 1667 fünfundzwanzig Hexen verbrannt hatte. Dies war sein bestes Jahr. Sein Amtsvorgänger hatte Männer wie Frauen hingerichtet, darunter den Pastor der Kirche St. Nicolai. Andere Geistliche waren geflohen oder aus der Stadt vertrieben worden. Das schöne Haus des Henkers in der Neue Straße war mit einem frommen Wahlspruch geschmückt. Der Mann war beim Hinrichten der Hexen reich geworden. Ich bekam den Eindruck, dass dieser Ort symbolisch das Wesen des ganzen neuen Deutschland zum Ausdruck brachte. Einerseits gab es hier malerische Folklore und sentimental verklärte Heimatgeschichte, andererseits einen dumpfen Hass auf alles, was die klebrigen Träume von Herd und Heim infrage stellen konnte. Die Stadt war mir vor 1933 noch nie finster erschienen. Was unschuldige Nostalgie hätte sein sollen, verwandelte sich im Kontext der gegenwärtigen Lage in gefährliche, pervertierte Gefühlsduselei.
    Bastable lenkte den Wagen in eine Toreinfahrt, deren Doppeltür geöffnet war, und dahinter in eine Garage. Jemand hatte uns erwartet und schloss unmittelbar hinter uns die Türen, dann wurde eine Öllampe hochgedreht. Herr El stand da und lächelte erleichtert. Er wollte mich umarmen, doch ich wehrte ihn ab. Die Energie, die ich aus dem Schwert bezogen zu haben schien, war noch vorhanden, aber meine Knochen waren immer noch gebrochen und angeschlagen.
    Wir gingen durch einen kleinen Vorraum und traten durch eine weitere alte Tür ins Haus. Der Türsturz war so niedrig, dass ich den Kopf einziehen musste. Dahinter fand ich jedoch ein gemütliches Haus mit entspannter Atmosphäre vor, als hätte jemand einen Schutzzauber darüber gesprochen. Herr El fragte, ob er mich untersuchen solle. Ich willigte ein und wir gingen in einen kleinen Raum neben der Küche, der anscheinend als eine Art Behandlungszimmer eingerichtet war. Vielleicht war Herr El der Arzt der Weißen Taube. Ich stellte mir vor, wie er hier Schussverletzungen behandelte. Während er mich untersuchte, gab er einige Kommentare zu den fachkundigen Schlägen ab. »Diese Kerle wissen genau, was sie tun. Sie können einen gesunden Mann lange am Leben halten, würde ich meinen. Sie selbst, Graf von Bek, waren in überraschend guter Verfassung. Ihre Übungen mit dem Schwert scheinen sich ausgezahlt zu haben. Ich denke, dass Sie schnell wieder gesund werden. Aber die Männer, die dies getan haben, waren Meister ihres Fachs.«
    »Nun«, sagte ich grimmig, »jetzt können sie ihr Wissen an die Meisterkollegen in der Hölle weitergeben.«
    Herr El seufzte gedehnt. Er versorgte meine Wunden und verband mich. Unverkennbar, dass er eine medizinische Ausbildung genossen hatte. »Mehr kann ich im Augenblick nicht tun. Eigentlich müssten Sie jetzt ruhen, aber dazu werden Sie in der nächsten Zeit wohl nicht kommen. Wissen Sie, was weiter geplant ist?«
    »Ich weiß nur, dass ich über einen geheimen Weg an einen sicheren Ort gebracht werden soll«, erwiderte ich.
    Er lächelte angespannt. »Mit Glück«, sagte er. Dann bat er mich, ihm alles zu berichten, was ich noch in Erinnerung behalten hatte. Als ich ihm erklärte, dass etwas von mir Besitz ergriffen hatte, dass mich ein höllisches Selbst in der Gewalt gehabt

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