Tochter Der Traumdiebe
ich, dass die schwarze Klinge meine einzige Überlebenschance war. Es kam mir vor, als hätte ich keinen Knochen mehr im Leib, der nicht gebrochen war. Eigentlich lag mir nicht einmal mehr viel daran, überhaupt zu überleben. Die schwere, gepolsterte Jägerkluft hatte mich vor den schlimmsten Verletzungen geschützt. Der Hut war mir über die Augen gerutscht, aber auch als ich ihn hochschob, starrte ich, auf dem Rücken liegend, in völlige Dunkelheit. Rufe und gelegentlich ein Schuss waren weit entfernt und hoch über mir zu hören. Sie waren die einzige Verbindung zur Menschheit. Ich war schon in Versuchung, zu rufen und mich bemerkbar zu machen, obwohl ich doch wusste, dass sie mich töten und mir das Schwert wegnehmen würden.
Allerdings konnte ich nicht einmal rufen. Ich konnte von Glück reden, dass ich noch das Augenlicht besaß. Weit oben leuchteten jetzt Lampen über die Kante. Dadurch bekam ich eine Vorstellung, wie hoch die Klippe war. Ich konnte nicht einmal sicher sein, dass ich ganz unten angekommen war. Ebenso gut hätte ich ein oder zwei Schritte machen und abermals in einen kalten Abgrund fallen können, für ewig in die Vorhölle stürzen, auf ewig gefangen im Übergang zwischen Leben und Tod, zwischen Bewusstsein und schwarzer Ohnmacht. Ein Schicksal, das sich in meinen dunklen Träumen bereits angekündigt hatte. Träume, die dieses grotesk anmutende Abenteuer vorweggenommen hatten.
Doch jetzt konnte ich mit einiger Erleichterung das Ende absehen. Hier würde mich niemand finden. Bald würde ich einschlafen und dann würde ich sterben. Ich hatte gegen die Nazis getan, was ich tun konnte, und mein Leben einem anständigen Zweck geopfert. Überdies würde ich mit meinem Schwert sterben, das mir Verpflichtung und Verteidigung zugleich war - und zwar ungeschlagen, wie ich immer zu sterben gehofft hatte, falls es wirklich einmal so weit kommen musste. In einer Lage wie dieser konnte man kaum mehr erwarten.
Dann berührte etwas mein Gesicht. Eine Motte?
Ich hörte die Stimme der jungen Frau. Ein Murmeln, dicht an meinem Ohr. »Bleiben Sie still, bis sie fort sind.«
Sie tastete nach meiner Hand. Ich war überrascht, wie sehr mich die Berührung tröstete. Schaudernd und unter Schmerzen atmete ich ein. Kein Zentimeter meines Körpers, der nicht auf irgendeine Weise wehtat, doch ihr Eingreifen schien den Schmerz zurückzudrängen. Ich fühlte mich sofort belebt und entwickelte gegenüber dieser Frau, die beinahe noch ein Kind und doch so schwer einzuschätzen war, Gefühle … Gefühle der Kameradschaft vielleicht. Körperlich fühlte ich mich kaum zu ihr hingezogen. Das überraschte mich, denn sie besaß gewiss eine Sinnlichkeit und Anmut, die viele Männer gereizt hätte. Vielleicht war ich über Leidenschaft und Lust schon weit hinaus. Unter Umständen wie diesen sind solche Bedürfnisse nur noch neurotisch und zerstörerisch. Dies dachte ich jedenfalls, als mir die Erotomanen in meiner Familie einfielen. Für sie war der Gestank des Schießpulvers immer ein erregender Duft gewesen.
Ich fragte sie, ob sie mir angesichts unserer Lage ihren Namen verriet. Hieß sie wirklich Gertie? Ich hörte sie lachen. »Gertie war ich noch nie. Sagt Ihnen der Name Oona etwas?«
»Nur von Spenser - die Herrin der Wahrheit.«
»Nun ja, mag sein. Und meine Mutter? Erinnern Sie sich nicht an sie?«
»Ihre Mutter? Habe ich sie kennen gelernt? In Bek? In Berlin? In Mirenburg?« Lächerlich, aber ich fühlte mich, als hätte ich mir in vornehmer Gesellschaft einen Fauxpas erlaubt. »Verzeihen Sie mir…«
»In Quarzasaat«, sagte sie. Die fremdartigen Laute sprach sie auf eine Weise aus, die ein wenig arabisch klang. Ich ließ sie wissen, dass ich diesen Namen noch nie gehört hatte, konnte aber spüren, dass sie mir nicht ganz glaubte.
»Jedenfalls danke ich Ihnen, Fräulein Oona«, erklärte ich mit all meiner altmodischen, recht steifen Höflichkeit. »Sie haben viel Gutes für mich getan.«
»Das will ich doch hoffen.« Im Dunklen klang ihre Stimme etwas abwesend, als sei sie unterdessen mit ganz anderen Gedanken beschäftigt.
»Ich frage mich, was aus Bastable geworden ist«, warf ich ein.
»Oh, das ist kein Problem, er kann schon auf sich aufpassen. Selbst wenn sie ihn schnappen, wird er auf die eine oder andere Weise wieder freikommen. Vorerst ist seine Rolle in dieser Angelegenheit beendet. Aber ich habe nur seine Hinweise, um den Fluss zu finden, der uns seiner Ansicht nach schließlich zur Stadt Mu
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