Tochter Der Traumdiebe
Ooria führen wird.«
Dieser Name kam mir irgendwie bekannt vor. Ich erinnerte mich an ein Buch aus meiner Bibliothek. Es war eine dieser unglaubwürdigen Lebensgeschichten, die in der Folge von Grimmelshausens Simplizissimus und Raspes Münchhausen erschienen sind. Der Autor, möglicherweise ein unter falschem Namen schreibender Vorfahr, behauptete, er hätte ein unterirdisches Königreich besucht, ein Rückzugsgebiet für Vertriebene, dessen Einwohner mehr aus Stein denn aus Fleisch und Blut bestanden hätten. Als Knabe hatte ich die Geschichte geliebt, aber sie hatte mit der Zeit ihren Reiz verloren und mich nur noch gelangweilt.
Ich wies darauf hin, dass ich kaum in der Verfassung war, einen längeren Fußmarsch zu überstehen. Unterdessen überraschte mich das Ausmaß des Höhlensystems. Ob sie wusste, wie weit es sich erstreckte?
Das schien sie zu amüsieren. »Manche glauben, es reicht bis in die Ewigkeit«, sagte sie. »Bisher gibt es jedenfalls keine vollständigen Karten.« Sie ermahnte mich zu warten und verschwand in der kalten Dunkelheit. Ich staunte über die Leichtigkeit, mit der sie sich hier zurechtfand. Als sie zurückkam, hörte ich, dass sie sich mit etwas beschäftigte. Dann fasste sie mich unter den Achseln und schleppte mich ein paar Schritte weiter, bis ich auf einem Tuch lag. Das Schwert legte sie neben mich.
»Wir können den Nazis danken, dass man Sie so ausgehungert hat«, bemerkte sie, »sonst wäre ich dafür nicht stark genug.« Ich spürte, wie sich das Tuch hob und unter mir spannte. Die Kanten fühlten sich an wie lange, glatte Schösslinge, aber Holz schien es nicht zu sein. Dann bewegten wir uns. Oona die Bogenschützin zog mich auf einer Art Travois.
Zu meinem Unbehagen bemerkte ich, dass wir uns immer noch abwärts bewegten, statt wieder hinauf zum Spalt, den ich mit den Harmonien meines Schwerts aufgerissen hatte. Vorher war es mir nie richtig zu Bewusstsein gekommen, nicht einmal in den Schützengräben in Flandern, doch ich litt an Klaustrophobie. Dabei wusste ich natürlich, dass Oona nicht stark genug war, um mich zurück nach oben zu schaffen. Außerdem schien sie eine gewisse Vorstellung von dem zu haben, was vor uns lag. Sie versuchte, einen sicheren Ort zu erreichen, den sie entweder aus eigener Anschauung kannte oder von dem Bastable ihr erzählt hatte. Ich hoffte nur, dass Bastable nicht von den Nazis gefangen genommen worden war. Ein zivilisierter Mensch wusste sich die Qualen, die diese brutalen Kerle ersannen, kaum auszumalen. Ich schauderte bei der Vorstellung, Gaynor könnte mich in meinem derzeitigen Zustand finden. Ich wollte mit Oona reden, aber schon das Bemühen, den Mund zu öffnen, ließ mich schwindeln. Nicht lange, und es war mir ohnehin gleichgültig, denn ich verlor das Bewusstsein.
Mit dem Gefühl, dass sich irgendetwas verändert hatte, kam ich zu mir. Die Stille um mich her wirkte eher friedlich denn bedrohlich. Ich hörte ein Flüstern, als würde der Wind durch Blätter streichen, dann bemerkte ich in der Ferne einen Lichtstreifen, als wäre dort der Horizont.
Oona war als dunkler Umriss vor einem noch dunkleren Hintergrund undeutlich zu sehen. Sie hatte etwas zu essen vorbereitet. Etwas, das nach Kohl roch und wie gestampfter Ingwer schmeckte. Es hatte eine unangenehme schleimige Konsistenz, aber es stärkte mich. Sie sagte mir, unser Frühstück wäre aus einheimischem Essen zubereitet. Offenbar kannte sie sich hier aus.
Ich fragte sie, ob dieses Höhlensystem den berühmten Katakomben von Rom ähnlich sei, wo die Opfer der Verfolgungen sich versteckt und manchmal ganze Siedlungen aufgebaut hatten.
»Manchmal kommen hier misshandelte Menschen an«, sagte sie, »und ich glaube, sie finden in gewisser Weise Zuflucht. Aber es gibt hier auch eine dominante einheimische Bevölkerung, die sich niemals nahe an die Oberfläche wagt.«
»Wollen Sie damit sagen, dass hier in den Höhlen eine ganze Zivilisation lebt?«
»Glauben Sie mir, Graf Ulric, hier unten werden Sie sogar mehr als nur eine Zivilisation finden.«
Mein Verstand wies diese phantastische Behauptung zurück. Nicht einmal die erst kürzlich entdeckten Höhlen von Carlsbad waren so groß.
Dennoch war ich irgendwie auch bereit ihr zu glauben. Ich spürte den Widerhall einer verborgenen Wahrheit. Etwas, das ich vielleicht einmal gewusst oder das ein Vorfahr erlebt und das sich meiner genetischen Erinnerung eingeprägt hatte. Ich wusste von der Modeerscheinung unter deutschen
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