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Tochter Der Traumdiebe

Tochter Der Traumdiebe

Titel: Tochter Der Traumdiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
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hatte, legte er mir mitfühlend eine Hand auf den Arm. Doch er konnte oder wollte mir nicht offenbaren, was er darüber wusste.
    Er gab mir etwas, damit ich besser schlafen konnte. Soweit ich weiß, war der Schlaf traumlos und frei von Störungen, bis ich spürte, dass die junge Frau mich sachte schüttelte und mich mahnte, ich solle aufstehen und etwas essen. Ihre Stimme klang etwas drängend und ich war schlagartig wach. Eine rasche Dusche, etwas Schinken und hart gekochte Eier, ein Stück gutes Brot mit Butter, das mich daran erinnerte, wie gut ganz normales, einfaches Essen sein konnte, und schon wurde ich wieder in die Garage geschoben, wo Bastable bereits auf dem Fahrersitz des Wagens wartete. Die junge Frau saß neben ihm. Die Pfeile trug sie jetzt in einem Korb, der Bogen war zu einer Art Gehstock verwandelt. Sie hatte sich älter gemacht und schien etwa siebzig Jahre zu zählen. Bastable trug seine SS-Uniform und ich die Jägerkluft. Ein Hut verbarg mein weißes Haar, eine getönte Brille die roten Augen.
    Als ich in den Duesenberg stieg, wandte sich die junge Frau an mich. »Wir können fast jeden außer von Minct und Klosterheim täuschen. Sie ahnen, wer wir wirklich sind und unterschätzen uns nicht. Gaynor, wie Sie ihn nennen, hat einen bemerkenswerten Instinkt. Es ist nicht nachzuvollziehen, wie er uns so schnell gefunden hat, aber sein eigener Wagen hat Kassel bereits hinter sich gelassen. Es ist noch nicht einmal sicher, ob wir das letzte Ziel unserer Reise überhaupt vor ihm erreichen können.« Ich fragte sie, wo dieses Ziel sei. Sie nannte eine weitere malerische Stadt, in der eine berühmte Legende gespielt hatte. »Es ist Hameln. Die Stadt ist bloß wenige Kilometer entfernt, aber nur über eine grauenhafte Straße zu erreichen.«
    Hameln zählte zweifellos zu den berühmtesten Städten Deutschlands. Die Geschichte vom Rattenfänger und den Kindern war in der ganzen Welt und besonders in England und Amerika bekannt.
    Auch dieses Mal fuhren wir wieder häufig ohne Licht und bemühten uns nach Kräften, dafür zu sorgen, dass der Wagen nicht erkannt wurde. Ein weniger stabiles Fahrzeug hätte schon längst versagt, aber das amerikanische Auto war eines der besten Fahrzeuge, die je hergestellt worden sind, so gut wie der beste Rolls-Royce oder Mercedes und sogar noch schneller. Das Wummern der Maschine glich, als wir mit achtzig Stundenkilometern dahinfuhren, dem gleichmäßigen, ruhigen Schlag eines riesigen Herzens. Ich bewunderte die kühne Formgebung, die zugleich Zuversicht und Nostalgie ausstrahlte, und fragte mich, ob wir vielleicht sogar nach Amerika wollten, oder ob ich näher an der Heimat lernen sollte, Hitler zu bekämpfen.
    Felsen und Wälder flogen im Mondlicht vorbei. Klöster und Dörfer, Kirchen und Gehöfte. Alles, was Deutschland ausmachte und auszeichnete. Aber die Geschichte des Landes, seine Folklore und die ganze Mythologie, alles hatten die Nazis für sich reklamiert, und sie hatten die Beute mit allem verknüpft, was an Deutschland und den Deutschen am ehrlosesten war. Die wahre Gesundheit eines Volkes, so denke ich manchmal, kann man daran ablesen, wie stark es seine Erfahrungen verklärt.
    Schließlich erreichten wir die Weser, einen langen, dunklen Streifen in der Ferne. An diesem Fluss lag die Stadt Hameln mit ihren massiven alten Bauten aus Stein und Holz, das Haus des Rattenfängers und das Hochzeitshaus, wo Tilly angeblich Quartier bezog, bevor er mit seinen Generälen gegen Magdeburg marschiert ist. Einer meiner Vorfahren, mein Namensvetter, hat zur Schande unserer Familie auf Tillys Seite gekämpft.
    An einer Ecke bogen wir rechts ab und standen unversehens vor der ersten Straßensperre. Diese hier wurde von der SA unterhalten. Wie Bastable wusste, würde man sehr schnell herausfinden, dass wir nicht waren, wer wir zu sein vorgaben - falls man uns näher überprüfte. Wir mussten in Bewegung bleiben. Deshalb hob ich meinen Arm zum Hitlergruß, als der Wagen abbremste, bellte einige Befehle, die nach dringenden Angelegenheiten klangen, und erwähnte entflohene Gefangene, während Bastable sich bemühte, wie ein SS-Fahrer auszusehen. Die verwirrten SA-Leute ließen uns durch. Ich konnte nur hoffen, dass sie nicht in ständiger Verbindung mit anderen Trupps auf der Straße standen.
    Da wir Hameln nicht umfahren konnten und da wir mit unserem großen Wagen wahrscheinlich nicht einmal die alte Brücke über die Weser benutzen konnten, blieb uns keine andere Wahl.

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