Tochter Der Traumdiebe
einen Baldachin wundervoll abgestufter Dächer zu bilden. Die riesigen Pflanzen ähnelten zugleich auch lebenden Organen, die aus verschiedensten Abschnitten medizinischer Lehrbücher zusammengesetzt schienen. Sie verströmten einen starken, betäubenden Duft, der jedoch nicht einschläfernd, sondern eher anregend wirkte. Mein Gesichtssinn schien sich zu verbessern und ich bemerkte mehr Einzelheiten und mehr Farbabstufungen. Fi sagte mir, es gebe in Mu Ooria viele Gärten wie diesen, manche so groß wie ganze Länder auf der Erde. Die Blumen und ihre Stängel waren wichtige Nahrungsquellen und lieferten außerdem Heilmittel und sogar Baumaterial für Möbel und so weiter. Sie wuchsen in nährstoffreichem Schlick, den der Fluss mitführte. »Der Fluss bringt uns alles, was wir brauchen. Nahrung, Wärme und Licht. Ursprünglich haben wir in Türmen und offenen Höhlen gelebt, die das Wasser ausgewaschen hatte, aber nach und nach wuchs unsere Zahl, weil wir gelegentlich auch Zwillinge zur Welt bringen, und so lernten wir, mit überwiegend natürlichen Methoden aus eigener Kraft Häuser zu bauen.«
Auch wenn ich seine Antworten nicht immer verstand, fragte ich ihn, wie alt seine Zivilisation sei. Ich konnte nicht glauben, dass noch kein menschlicher Reisender diesen Ort besucht hatte und zurückgekehrt war, um darüber zu erzählen. Der Gelehrte Fi bedauerte. Er sei kein Fachmann für die Zeit, sagte er. Doch er suche jemanden, der die Zeitspannen für mich übertragen konnte. Er war der Ansicht, dass sein Volk wahrscheinlich ungefähr so lange existierte wie meines. Die Reise zwischen der einen und der anderen Welt sei jedoch von Glücksfällen abhängig, weil man dazu die Länder jenseits des Lichts durchqueren müsse, wo die Verfahren, die wir an der Oberfläche zur Messung von Entfernungen benutzten, nicht sehr hilfreich waren. Deshalb hätte man hier auch nie großes Interesse entwickelt, die Seite zu besuchen, die Fi als ›Chaos-Seite‹ bezeichnete, womit er anscheinend die Oberfläche meinte. Seine Vorstellungen von der Natur des Universums erschienen mir so fremdartig wie die Medizin dieser Wesen. Ich respektierte sie, auch wenn ich sie nicht verstand. Nach und nach gewann ich einen Eindruck von ihrer Logik und begann zu verstehen, wie die Off-Moo die Realität wahrnahmen. Als ich durch den berauschenden Dunst wanderte, während über mir die riesigen Adern und Fasern der großen Pflanzen vibrierten, spielte ich kurz mit dem Gedanken, Hitler zu vergessen und hier zu bleiben, wo das Leben so war, wie es eigentlich sein sollte.
»Fromental bricht mit einer Reisegruppe nach Mu Ooria auf, sobald der Strom zur vierten Harmonie wechselt. Wollen Sie ihn begleiten? Können Sie die Harmonien hören, Graf Ulric? Sind Sie mit unserem akustischen Wetter vertraut?« Eine Spur trockenen Humors blitzte auf.
»Ich fürchte nein«, gab ich zurück.
Er zog ein kleines Metallstück aus dem Ärmel und hielt es mit erstaunlich langen Fingern, die zu zierlich schienen, um auch nur eine Vogelfelder zu heben, vor sich. Dann blies er aufs Metall, bis ein lieblicher Ton entstand.
»So klingt es«, sagte er.
Ich glaube, er erwartete von mir, ich könne es mir merken, nachdem ich es nur einmal gehört hatte. Ich kam zu der Ansicht, dass ich am besten ständig in Fromentals Nähe bleiben und auf seine Erfahrung und Weisheit bauen sollte.
»Ich hoffe, ich werde in Mu Ooria Hilfe finden«, erklärte ich. »Ich möchte in meine eigene Welt zurückkehren, denn dort muss ich meine Pflicht erfüllen.«
»Sie werden die klügsten Leute dort finden, die Ihnen helfen werden, so gut sie können.«
Mir fiel ein, ihn nach dem Wesen zu fragen, das uns auf der Brücke empfangen hatte. Lord Renyard sei ein Forscher und Philosoph, erklärte der Gelehrte Fi mir. Seine alte Heimat sei in einer übernatürlichen Schlacht zerstört worden und sein derzeitiges Heim sei bedroht, er käme jedoch häufig zu Besuch. »Bisher hat er keinen anderen von seiner Art getroffen. Sie hatten wahrscheinlich Glück, dass er Sie nicht drängte, Ihr Wissen über die Denker und Gelehrten, die er bewundert, mit ihm zu teilen. Besonders von einem Ihrer Philosophen ist er sehr begeistert. Kennen Sie Voltaire?«
»Nur so gut, wie ihn jeder durchschnittlich gebildete Mensch kennt.«
»Dann haben Sie wahrscheinlich Glück gehabt.«
Ich hätte nicht erwartet, bei einem Wesen wie dem Gelehrten Fi einen solch trockenen Humor anzutreffen und war abermals bezaubert. Es gab
Weitere Kostenlose Bücher