Tochter Der Traumdiebe
Hades und all die anderen Geschichten von der Unterwelt und anderen Welten hinein. War Mu Ooria die reale Vorlage für Alfheim oder Trollheim gewesen? Oder für die Höhlen, in denen die Zwerge ihre Zauberschwerter schmiedeten?
Als sich die eigenartige Szene vor mir abspielte, gingen mir all diese Bilder und Gedanken durch den Kopf. Die Zeit schien in diesem Reich des Zwielichts eine ganz eigene Qualität zu besitzen, die jeder Beschreibung spottete. Alles fühlte sich fremdartig an, zugleich auch bedeutungsschwanger und ein wenig instabil. Ich hatte den Eindruck, gleichzeitig in mehreren Geschwindigkeiten zu existieren, worauf ich teilweise sogar Einfluss nehmen konnte. Eine Vorahnung dieser Qualität hatte ich bereits in meinen letzten Träumen gesehen, doch jetzt war ich sicher, dass ich wacher war denn je. Ich begann das Multiversum in all seiner Vielfalt und Kompliziertheit zu erfassen.
Da er nunmehr eine Vorstellung von der Geographie hatte, schien Klosterheim ruhiger als wir anderen. »Die Nacht habe ich schon immer vorgezogen«, murmelte er. »In der Nacht bin ich in meinem Element. Dann werde ich zum Raubtier.« Eine lange, trockene Zunge leckte über schmale Lippen.
Der Gelehrte Fi schenkte Klosterheim ein kleines Lächeln. »Sie könnten versuchen, mich auf eine andere Weise zu töten, aber ich weiß mich zu verteidigen. Es wäre unklug, Ihren gegenwärtigen Aggressionen nachzugeben. Wir haben in unserer Geschichte Gewalt kennen gelernt. Wir haben gelernt, alle zu achten, die das Leben achten. Diese Achtung gilt aber nicht für diejenigen, die das Leben zerstören und alles mit sich in den Untergang reißen wollen, den sie herbeisehnen. Allerdings wissen wir deren Sehnsucht zu befriedigen, doch ist dies eine Reise, die man nur allein antreten kann.«
Ich warf einen Blick auf die Nazi-Truppen und fragte mich, ob irgendjemand den in griechischer Sprache geführten Wortwechsel hatte verfolgen können, aber offensichtlich konnten sie mit diesen fremden Lauten nichts anfangen. Dann bemerkte ich eine Gestalt, die im Hintergrund der Gruppe auf der rechten Seite neben einem hohen Stalagmiten stand, der aussah, als wären riesige Untertassen aufgestapelt worden. Das Gesicht der Person war hinter einem kompliziert gebauten Helm verborgen, der Körper anscheinend in eine Rüstung aus kupfernem oder silbrigem Metall gesteckt, die im Halbdunkel wie stumpfes Gold schimmerte. Die verzierte Rüstung wirkte pompös, als hätte Bakst sie für ein phantastisches Ballett von Diaghilevi entworfen. Es kam mir vor, als wäre ich Oberon im Elfenland begegnet. Ich wollte Fromental fragen, ob er die Gestalt bemerkt hatte, aber der Franzose konzentrierte sich auf Gaynor.
Mein Vetter hatte dem Gelehrten Fi kaum zugehört. Er zog einen geschmückten Nazi-Dolch aus der Scheide am Gürtel. Blanker Stahl und poliertes Ebenholz, die Klinge reflektierte das tanzende, dunstige Licht. Funkelnd schien die Waffe die Atmosphäre zu durchschneiden und die ganze lebendige Welt um uns herauszufordern.
Gaynor wog den Dolch auf der Handfläche und hielt ihn seitlich vom Körper weg. Ohne sich umzudrehen, rief er auf Deutsch einen Offizier zu sich, während er mich anstarrte. »Leutnant Lukenbach, bitte.«
Stolz auf die Anerkennung durch seinen Herrn trat ein großer SS-Schläger in schwarzer Uniform vor und schloss mit geradezu wollüstiger Dankbarkeit die Finger um den Griff des Messers. Unterwürfig wie ein Hund wartete er auf seine Befehle.
»Sie waren so unbesonnen, von Aggressionen zu sprechen.« Gaynor nahm eine Zigarette aus der Schachtel. »Sie sollten wissen, dass Sie die Autorität des Reichs herausfordern. Ob Sie es einsehen oder nicht, mein unterernährter Freund, Sie gehören jetzt zu den Bürgern Großdeutschlands und sind den Gesetzen unseres Vaterlandes unterworfen.« Die Wirkung seiner Ansprache litt etwas darunter, dass es ihm misslang, die Zigarette anzuzünden. Er warf Zigarette und Feuerzeug auf den Boden. »Und wie mir scheint, stehen Ihre eigenen Gesetze in einem gewissen Widerspruch zu …«
Er machte sich über sich selbst lustig. Ich bewunderte ihn für seine Gelassenheit, eigentlich doch eher Narrheit, als er Leutnant Lukenbach weiter nach vorn winkte. »Zeigen Sie diesem Kerl, wie scharf unser guter alter Solinger Stahl ist.«
Ich machte mir große Sorgen um den Gelehrten Fi, der nicht über die Körperkraft verfügte, sich gegen den Nazi zu wehren. Fromental schien ebenfalls beunruhigt, er bedeutete mir aber,
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