Tochter Der Traumdiebe
handelte es sich um die Schriftsprache der Off-Moo. Alles erschien meinem Auge jedoch einfarbig, als hätte ich eine Filmkulisse betreten und wäre in einem verrückten Abenteuerfilm gelandet.
Fromentals Stimme klang hier drinnen sogar noch tiefer und voller. »Graf von Bek, darf ich Ihnen meinen Freund und Mentor, den Gelehrten Fi vorstellen, den Leiter der Gruppe, die an Ihrer Genesung gearbeitet hat?«
Meine Stimme klang selbst in den eigenen Ohren belegt und schleppend. Ich konnte kaum vernünftig antworten und hatte alle Mühe, nicht einfach nur aufdringlich zu gaffen. Zuerst dachte ich, ich sei auf meinen Doppelgänger gestoßen, aber diese Gestalt war viel größer und schmaler, auch wenn das lange, dreieckige Gesicht ein vergrößertes Abbild des meinen war. Auch er war ein Albino. Sein Schädel war mindestens doppelt so lang wie meiner, doch höchstens halb so breit. Auf dem Kopf saß eine kegelförmige Kopfbedeckung, die in einer Spitze auslief und ein exaktes Gegenstück zum langen, spitz zulaufenden Gesicht des Gelehrten bildete. Hinten breitete sich der Kopfputz nach unten hin aus und legte sich über die Schultern und ein Gewand, das meinem eigenen ebenfalls ähnlich war. Das Kleidungsstück hatte lange ›Mandarin-Ärmel‹, der Saum reichte bis zum Boden hinab. Größe und Form der Füße konnte ich darunter nicht erkennen. Das Kleidungsstück war aus dem gleichen feinen Seidenstoff gewirkt wie meines. Die schräg gestellten roten Augen, die langen Ohren und die eigenartig geformten Augenbrauen ließen sein Gesicht jedoch wie eine Parodie meines eigenen erscheinen. Waren Geschöpfe wie er meine Vorfahren? Waren es die Gene von Off-Moo, die mich auf der Erde zu einem Ausgestoßenen machten? Hatte ich hier das Volk gefunden, zu dem ich wirklich gehörte? Das Gefühl, daheim zu sein, das mich plötzlich erfüllte, war so überwältigend, dass ich beinahe geweint hätte. Doch ich fing mich wieder und dankte ihm in aller Form für die Gastfreundschaft und natürlich auch dafür, dass er mich ins Leben zurückgeholt hatte.
»Aber das war doch selbstverständlich.« Sobald dieses Wesen in wundervoll fließendem Griechisch zu sprechen begann, wurde mir klar, dass alle meine Vorurteile der reinste Unsinn gewesen waren. »Es kommt nur selten vor, dass ich das Privileg genießen darf, einem Geschöpf mit Ihrer Physiologie, die der unseren sehr ähnlich ist, auf diese Weise dienen zu können.« Er sprach leise, präzise, musikalisch - es klang beinahe wie ein Lied. Die Haut war womöglich noch bleicher als meine eigene - und viel dünner. Die Augen schimmerten wie roter Bernstein, die spitzen Ohren waren ein wenig nach hinten abgeschrägt und auch in diesem Detail war er mir ähnlich. In meiner Welt hieß man sie ›Teufelsohren‹.
Der Gelehrte Fi schien in seiner Rolle als Gastgeber aufzugehen. Er erkundigte sich nach meinem Wohlbefinden und sagte, wenn ich irgendwelche Fragen hätte, dann würde er sie beantworten, soweit es seine geringen Fähigkeiten erlaubten. Ich hatte das Gefühl, dass Fi mit der Bescheidenheit des wahren Genies sprach. Zuerst führte er mich in eine Nische und zeigte mir mein Schwert, das dort aufbewahrt wurde. Fromental zog sich diskret zurück, indem er sagte, er hätte am Stadtrand zu tun und werde später zu uns zurückkehren.
Der Gelehrte Fi schlug mir vor, einen Spaziergang durch den Wald der Schattenblumen zu machen, dort sei es friedlich und der Duft sei wundervoll. Freundlich führte er mich aus seinem Haus und durch gewundene Straßen bis zu einem Bereich, wo zahllose Stalagmiten, die an Pagoden erinnerten, in wohlgeordneten, natürlichen Reihen standen, die sich in der Ferne verloren, alle beleuchtet vom Strahlen des Flusses. Als wir näher heran waren, erkannte ich, dass die großen, hohlen Säulen durchweg bewohnt waren. Solch prächtige Architektur hätte in jeder romantischen Seele eine Saite angeschlagen und jenen romantischen Schauder wachgerufen, den auch die Dichter in uns ansprechen wollen. Was hätte beispielsweise ein Goethe aus dieser außergewöhnlichen, bleichen Schönheit gemacht? Wäre er ästhetisch wie intellektuell ebenso überwältigt gewesen wie ich?
Der Gelehrte Fi führte mich durch eine Reihe von Gassen zu einer Mauer mit einem Tor. Dahinter betraten wir eine organische Welt voller grauer und silberner Farbtöne. Eine erstaunliche Szenerie riesiger Pflanzen, die aus einem einzigen massiven Stamm sprossen und sich wie Regenschirme öffneten, um
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