Tochter Der Traumdiebe
immer mehr Gründe, hier zu bleiben.
»Er wollte Sie unbedingt begrüßen.« Der Gelehrte Fi führte mich um eine große, knollenartige Wurzel herum, die sich hob und senkte, als würde sie atmen. »Er war anscheinend mit einem Ihrer Vorfahren bekannt, mit einem Namensvetter, den er gekannt hat, bevor sein Lehen durch den Krieg zerstört wurde. Er wusste nur Gutes über diesen Grafen Manfred zu berichten.«
»Manfred!« Die Familie hatte ihn immer für eine peinliche Figur gehalten. Ein Lügner von der Größenordnung eines Münchhausen. Ein Taugenichts und ein Abtrünniger. Ein Spion. Ein Jakobiner. Ein Diener fremder Könige. Und ein Schürzenjäger. »Sein Name wird bei uns nie erwähnt.«
»Nun ja, Lord Renyard schien der Ansicht zu sein, dass er ein kundiger Gelehrter war und über die französische Aufklärung, die ihm selbst sehr wichtig war, viel zu berichten wusste.«
»Mein Vorfahr Manfred war ein Gelehrter, aber seine Lehre drehte sich um die Lieder der Gosse, um die Wissenschaft des Bierkrugs und den sachkundigen Umgang mit Dirnen.« Er hatte der Familie eine solche Schande bereitet, dass einer seiner Nachfahren viele seiner Berichte vernichtet und andere weggesperrt hatte. Manfred war der Held der berühmten Posse ›Manfred oder die Gentleman-Hour.‹ Seine Zeitgenossen haben versucht, ihn für verrückt erklären zu lassen, aber nachdem er der Französischen Nationalversammlung entkommen war, der er kurze Zeit angehört hatte, war er so vernünftig gewesen, sich in die Schweiz abzusetzen. Das Letzte, was man von ihm gehört hatte, war, dass er in Begleitung eines schottischen Luftfahrtingenieurs namens St. Odhran in Mirenburg aufgetaucht sei. Sie hätten Behauptungen über ein Luftschiff aufgestellt, die sich jedoch nicht bewahrheiteten. Schließlich flohen sie mit ihrem Fahrzeug vor aufgebrachten Angehörigen. Anscheinend tauchten sie später in Paris auf und probierten den Trick noch einmal. Zur großen Erleichterung unserer Familie benutzte er den Namen von Bek zu diesem Zeitpunkt nicht mehr. Er bezeichnete sich als Graf von Kreta, angeblich wurde er am Ende in der englischen Stadt York als Pferdedieb gehenkt. Andere Geschichten gingen dahin, dass er den Rest seines Lebens, gebrochen von einer unglücklichen Liebe, als Frau in der Nähe von Bristol gelebt habe. Eine weitere Geschichte berichtete, er sei dem Weg des Rattenfängers von Hameln gefolgt und nie wieder gesehen worden. Ich war beunruhigt. Wandelte ich in den Fußstapfen legendärer Vorfahren, deren Leben so geheimnisumwittert war, dass selbst die nächsten und liebsten Angehörigen nicht wussten, wer sie wirklich gewesen waren? War es mir bestimmt, von den Erfahrungen vernichtet zu werden, die mit aller Wahrscheinlichkeit auch sie zerstört hatten?
Der Gelehrte Fi war verblüfft, als er meine Ansichten über Manfred hörte. »Aber ich lerne mehr und mehr durch Ihre Wahrnehmungen.«
Ich versuchte ihm zu erklären, dass wir nicht mehr an die alten Märchen und Volkssagen unserer Vorfahren glaubten, doch sein Erstaunen blieb ungebrochen. Warum, so fragte er sich, sei es denn nötig, eine Idee zugunsten einer anderen zu verwerfen? Ob wir in unseren Köpfen immer nur Raum für jeweils eine einzige Idee hätten?
Der Gelehrte Fi schüttelte sich vor Lachen, zwitscherte fröhlich über seinen eigenen Scherz. Ich war wie verzaubert und stimmte in das Lachen ein. Selbst wenn sie sich bewegten, hatten die Off-Moo etwas an sich, das an eine zierliche Steinfigur erinnerte, die zum Leben erwacht war.
Plötzlich legte mein Gastgeber den Kopf schief. Sein Gehör war erheblich besser als meines. Er drehte sich um.
Gerade rechtzeitig, um Fromental zu sehen, der sich uns eilig näherte.
»Gelehrter Fi, Graf Ulric. Bürger haben ihr Kommen gemeldet. Ich ging, um mich selbst zu überzeugen. Ich kann Ihnen jetzt mitteilen, dass eine Gruppe von etwa einhundert Bewaffneten, ausgerüstet mit den neuesten technischen Hilfsmitteln, die Brücke überquert hat und im Außenbezirk wartet. Sie verlangen unseren Anführen zu sprechen.«
Ich hatte keine Zeit, dem verwirrten Gelehrten zu erklären, was dieser Begriff bedeutete. Fromental wandte sich schon an mich. »Ich glaube, da kommt Ihre persönliche Nemesis, mein Freund. Es ist ein gewisser Major von Minct, der Sie für einen Kriminellen zu halten scheint. Sie hätten ein Nationalheiligtum gestohlen, sagt er.«
»Glauben Sie ihm?«
»Er scheint ein Mann zu sein, der mit der Macht vertraut ist. Und mit
Weitere Kostenlose Bücher