Tochter des Drachen
scharfen. Das Endergebnis bleibt dasselbe, Chinn: Ich bin tot.« Er spürte, wie sich die Wut in seiner Brust ballte und lodernde Tentakel aussandte, bis sein Schädel so heiß brannte, dass er jeden Augenblick damit rechnete, einen Schlaganfall zu erleiden. »Sie dürfen nie, niemals, unter keinen Umständen eine so große Lücke zur Flanke Ihres Lanzenkameraden öffnen. Das wissen Sie. Dann geschieht genau das, was wir gerade erlebt haben. Ihre Beurteilung wird mit jedem Mal schlechter, Chinn. Das war erbärmlich !«
Einen Moment lang herrschte Stille, als Chinn nicht antwortete und keiner ihrer republikanischem Gegner - Sho-sa Wahab Fusilli, der seinen Balac- Hubschrauber wieder gewendet hatte und jetzt weiße Salzwolken aufwirbelte, und Tai-i Abeda Measho in Katanas Panther - einen Kommentar abgab. Was hätten sie auch sagen sollen?
Endlich brach doch jemand das Schweigen, aber es war nicht Chinn. »In Ordnung, das reicht.«
Immer noch kochend vor Wut drehte sich Crawford um. Hinter einem Halbkreis abgesägt wirkender Felsen, fünfhundert Meter entfernt, ragte ein riesiger olivgrüner Kampftitan auf. Er wartete, bis der überschwere Mech Phantom fast berührte, bevor er sagte: »Ich entschuldige mich, Tai-sho. Ich habe die Beherrschung verloren.«
»Verständlich, wenn man gerade getötet wurde.« In Katanas Stimme lag weder Ironie noch Sarkasmus. »Aber es ist vorbei, Leute. Der Krieg ist vorüber. Jetzt geht nach Hause und unter die Dusche. Kühlt euch ab.«
Ein weiser Rat. Crawford schwenkte den Mech herum und suchte zwischen den Farbklecksen hindurch den Weg zurück zum Stützpunkt. In mehr als einer Hinsicht.
Katana Tormarks Tagebuch
14. Januar 3135
Wir haben uns nach dem Frühstück zusammengesetzt. Crawford, Fusilli und Measho. Toni nicht, das würde ich ihr nicht antun. André schenkte mir nichts. »Tai-sho, Sie müssen die Möglichkeit in Betracht ziehen!«
Niemand sonst sagte ein Wort. Measho entwickelte plötzlich ein enormes Interesse an irgendetwas auf seinem Schoß. Fusilli war wie üblich 05 S bis ins Mark. Er registrierte alles. Seinen himmelblauen Augen entging gar nichts, aber seine Miene war so unbewegt wie eine Maske. Und wie üblich stand der Alte Meister an der Shoji Wache. Ich antwortete ihm: »Sehen Sie Chinn hier? Ist es nicht offensichtlich, dass ich sie bereits in Betracht gezogen habe?« Dann spießte ich André mit einem meiner strengsten Blicke auf. Die meisten wären da zurückgezuckt.
André ist nicht wie die meisten. »Offensichtlich«, bestätigte er und rieb sich mit beiden Handballen die grünen Augen. Er wirkte immer noch so schlapp wie zu lange gekochte Nudeln. Das ist normal, wenn man so lange in einem glutheißen Mech gesteckt hat. Dann seufzte er und schaute blinzelnd auf. »Aber, Tai-sho, eine Lanze muss wie ein einziger Organismus funktionieren, ein Herz, ein Verstand. Chinns Herz und Verstand sind doch gespalten. Es wird mit jedem Tag deutlicher, besonders wenn wir gegen Republik-Truppen antreten. Sie will ihnen ganz einfach keinen Schaden zufügen. Wenn sie ihnen ein wenig Luft lassen kann, damit sie sich zurückziehen, dann tut sie das. Ich will gar nicht bestreiten, dass das human von ihr ist. Es ist nicht gerade ehrenvoll, einen Feind zur Strecke zu bringen, der sich nicht verteidigen kann. Aber Ehre ist eine Sache. Den Feind zu unterstützen ist eine andere. Was auch immer sie sonst ist, Chinn ist ein Geschöpf der Republik, und zwar bis ins Mark.«
Jetzt mischte sich Fusilli ein. »Sie müssen zugeben, dass Chinn ausgezeichnete Leistungen vorweisen kann. Ohne sie hätten wir vor sechs Monaten gegen den Schwertschwur verloren. Soweit ich mich entsinne, Crawford, war es Ihr Hintern, den sie gerettet hat, als die Sphinx ihn zerlegen wollte.«
Crawford setzte zu einer Entgegnung an, aber Measho kam ihm zuvor. »Trotzdem können wir nicht erwarten, dass die Vergangenheit einfach verschwindet. Sie übt einen starken Einfluss auf die Gegenwart aus.«
Crawford und Fusilli gaben Ruhe, und das aus gutem Grund. Measho ergreift so selten das Wort, dass alles, was er sagt, in der Regel gut überlegt ist. Er ist mein Denker, und dabei ein ebenso guter und loyaler Pilot wie jeder Draconier. Ich nickte ihm zu.
»Ich verstehe, wie die Vergangenheit einen Menschen prägt. Es ist, als würde man mit einem Brandzeichen auf der Stirn herumlaufen. Aber der größte Fehler, den man begehen kann, ist zu leugnen, dass es unsere Vergangenheit ist, die uns zu dem gemacht hat,
Weitere Kostenlose Bücher