Tochter des Drachen
ewig dauern, Anweisungen einzuholen. Falls ich eine Gelegenheit sehe, selbstständig zu handeln, vielleicht die eine oder andere Fehlinformation auszustreuen, wäre das ...?«
Das war neu. Ich schüttelte den Kopf. »Ich weiß Ihre guten Absichten zu schätzen, Fusilli, wirklich. Aber alles, was wir Sakamoto betreffend tun, geschieht auf meine Anweisung. Verstanden?«
So wie sich die Lider über seinen himmelblauen Augen schlossen, verstand er es. Es behagte ihm aber nicht. Das kann ich verstehen. Ich habe den 05S allerdings nicht über alles auf dem Laufenden gehalten. Fusilli hat keine Ahnung, wie Andrés Befehle lauten - und umgekehrt. Ein notwendiges Übel. Es ist nur manchmal zu empfehlen, dass man die linke
Hand wissen lässt, was die rechte tut, denn wenn man ihnen die Chance lässt, enttäuschen andere einen jedes Mal. Und auf die überraschendste Art und Weise.
Was das betrifft, weiß ich sehr genau, wovon ich rede. Damals hat mir Otome-san eine Menge über meinen Vater erzählt - eine Menge Dinge, von denen ich keine Ahnung hatte. Zum Beispiel, und das hat mich umgehauen, war Akira Tormark ein Spion des Ordens der 5 Säulen, zweimal verheiratet und einmal geschieden. Und er hatte noch andere Kinder. Söhne? Töchter? Otome-san wusste es nicht. Und dann war mein Vater einfach ... weg. Wohin? Weiß der Teufel.
Wenn ich daran zurückdenke, kehrt die Erinnerung an diese schreckliche Nacht wieder, als mein Vater Kan Otomes blutverschmiertes Katana in der Hand hält. Onkel Kans leere Augen treten aus den Höhlen. Und der seltsame junge Mann neben meinem Vater. Nicht nur, was er gesagt hat, sondern auch wie er es sagte: »Ist sie das?« Als ob er mich kannte oder von mir gehört hatte, mich aber nie gesehen hatte, und ... als ob ich ihn kennen müsste.
Huh. Als würde jemand über mein Grab laufen. Wie auch immer, damit kann ich mich jetzt nicht beschäftigen. Ich muss nach vorn schauen und beten, dass der Koordinator aufwacht und erkennt, dass er auch in Gefahr ist, sehr viel zu verlieren. Sein Reich. Seine Identität. Und uns alle, seine Kinder.
Ich frage mich, ob Toni es verstehen wird. Ich frage mich, wie sehr sie mich hassen wird.
Als ich ging, regte sich der Alte Meister endlich. »Eine bittere Lektion, Musume: Ein Kommandeur kümmert sich um die Bedürfnisse des Ganzen, nicht um die Wünsche eines Einzelnen.«
Als hätte er meine Gedanken gelesen.
Imperial City, Luthien Militärdistrikt Pesht, Draconis-Kombinat
20. Januar 3135, später Abend
Eine Stunde lang versuchte sie jetzt schon zu meditieren, und immer noch sprangen ihre Gedanken hin und her, wie ein Kolibri, der von einer Blüte zur nächsten flitzt. Ihre Füße schmerzten von der knienden Haltung, und sie hatte einen Krampf in den Zehen. Aber es gelang ihr einfach nicht zu vergessen, was ihr Vater gesagt hatte: Eine Krone ist nur so wertvoll wie ihre Juwelen, ob alt oder neu. Und die Bemerkung über schwarze Perlen ... Was mochte das bedeuten?
Seufzend öffnete Emi die Augen. Ihr Zimmer lag im Halbdunkel, nur erhellt von zwei dicken Kerzen auf ihrem persönlichen Kamidana. Sie hatte das übliche Arrangement für den Schrein gewählt: zwei immergrüne Sasakizweige in separaten Vasen; in der Mitte die Jinja, eine Lade mit heiligen Ofuda; zwei Miniaturkrüge mit Sake links und rechts von einem winzigen Wasserkrug, an beiden Seiten flankiert von winzigen Keramikschalen, rechts mit Salz, links mit
Reis. Das einzig Ungewöhnliche an ihrem Kamidana war der prächtige elfenbeinerne Kuritadrache auf dem Sakekrug, und auf ihm ruhte jetzt ihr Blick. Das Kombinat war der Drache, und der Koordinator war das Kombinat, eine Art heilige Dreifaltigkeit, auf deren Fundament ihr Universum aufbaute.
Erschöpft drückte Emi sich aufrecht, verneigte sich, klatschte zweimal in die Hände und verbeugte sich noch einmal tiefer als zuvor, bevor sie sich rückwärts drei Schritte weit zurückzog, bis sie den Holzboden unter den Füßen spürte, die nur von Strümpfen bedeckt waren. Im Laufe des Abends war der Boden abgekühlt, und ihre Füße flüsterten über das polierte Holz, als sie auf und ab ging.
Es ist unsere Verantwortung, uns um dieses verlorene Kind zu sorgen. Damit war offenkundig Katana Tormark gemeint. Aber wollte ihr Vater wirklich, dass sie handelte? Möglicherweise war er trotz seiner beruhigenden Worte ebenso besorgt wie sie, dass Haus Kurita fallen könnte. Falls uns die andere, schleichende Vergiftung unseres Blutes nicht schon zuvor
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