Tochter des Drachen
Café hieß >Cuppa Joe<, und McCain roch es schon eine Querstraße, bevor es zu sehen war: ein Aroma aus frisch aufgebrühtem Kaffee, vermischt mit Zimt. Er sog den Duft tief ein, dankbar über die Aussicht auf eine wirklich gute Tasse Kaffee und die Freiheit, sich ohne Bewacher zu bewegen, die in diskretem Abstand folgten. Das Lokal lag in einer kopfsteingepflasterten Fußgängerzone, in Nord-SüdRichtung sieben Häuserblocks, von Ost nach West vier. Eine reine Fußgängerzone. Es waren keine Fahrzeuge erlaubt, nicht einmal Fahrräder. Der Abend war kühl. Die Straßen waren voller Menschen beim Schaufensterbummel oder einfach nur auf einem Spaziergang. Straßenkünstler machten Musik oder führten Zauberkunststücke vor. Pulks auf der Straße, aufgestellte Tische waren besetzt von essenden, trinkenden und sich unterhaltenden Pärchen.
Die rote Backsteinterrasse des >Cuppa Joe< war die
letzte in einer Reihe von Geschäften, und natürlich voll besetzt. Aber dann entdeckte er doch noch einen freien Tisch ganz hinten in der Ecke: dunkelgrün lackiertes Metall mit dürren Beinen und zwei schwarze, gusseiserne Stühle. Er schlenderte hinüber und bemerkte eine liegen gebliebene Zigarettenpackung. Das nenne ich Glück. Er schaute nach und sah acht Zigaretten. Mit Filter.
Fortuna meint es gut mit mir. Als McCain die Packung in die Brusttasche der Lederjacke schob, spürte er, dass ihn jemand beobachtete. Er drehte sich um und blickte in die offenen, neugierigen Mienen eines jungen Pärchens am nächsten Tisch. Er lächelte verlegen und zuckte die Achseln. »Ich versuche eigentlich, es mir abzugewöhnen, aber wie das so ist ...« Er sprach nicht weiter, sondern zuckte zum Abschluss noch einmal die Achseln.
»Hmmm.« Die Frau, eine durchschnittlich hübsche Brünette mit hüftlangem Haar und Ohrreifen, die mit Glasperlen besetzt waren, musterte ihn und drehte sich wieder zu ihrem Gegenüber um.
Der Kaffee in der großen Bechertasse war schwarz und so gut, wie er ihn in Erinnerung hatte. Stark und mit Zichorie versetzt. Beim ersten Schluck verbrannte er sich die Zunge und stellte die schwere weiße Steinguttasse beiseite, um sie abkühlen zu lassen.
Eine Weile hatte es auf Messers Schneide gestanden, aber Akata, der Junge, den er hatte behandeln müssen, hatte es geschafft. Irgendwann unterwegs hatte Muskelmann, der eigentlich Tony Ito hieß, ent-schieden, dass McCain in Ordnung war, denn er hatte ihm ein Angebot gemacht. Das Angebot, für seine Organisation zu arbeiten. Die fragliche Organisation war der Yakuza-Clan Ryuu-gumi, die Familie des Drachen. Genau darauf hatten McCain und Drexel gehofft. Aber er blieb seiner Rolle treu und täuschte Zögern vor, bis Ito ihn darauf hinwies, wie gering die Chance war, dass ein Krankenhaus einen bekannten Alkoholiker wieder einstellte, nachdem er fast fünf Monate unauffindbar gewesen war.
»Okay, darauf weiß ich keine Antwort«, hatte er zugegeben. Es war Abend gewesen, und Ito hatte ihn eingeladen, eine Kanne grünen Tee zu teilen. Ein Angebot, das McCain liebend gerne abgeschlagen hätte, doch das konnte er nicht. In den vergangenen Monaten hatte er genug grünen Tee trinken müssen, um ein Schlachtschiff flott zu machen. Für die gute Sache musste man schon einige Opfer bringen ... »Aber ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich ein Schritt die Karriereleiter hinauf ist, für ein Drogenkartell zu arbeiten.«
Ito hatte verärgert reagiert. »Ja, sicher. Ich bin Wakagashira, aber ich werde ganz sicher nicht die Nummer zwei eines Drogendealers. Sie haben zu viele schlechte Romane gelesen, Mann. Nicht alle Yakuza sind Kabuki-mono.«
»Dass sie irre sind, habe ich nie behauptet.« McCain hatte die offenen Hände gehoben. »Aber ich bin dabei, mich aus der Gosse wieder hochzuarbeiten. Ich muss blütenweiß bleiben.«
»Ach ja?« Ito hatte sich einen Glimmstängel in den Mundwinkel geschoben, ein Streichholz angerissen und gezogen. »Was denken Sie wohl, wie schnell Sie wieder eine Stelle finden, nachdem Sie vier, fünf Monate nicht zum Dienst erschienen sind?« Seine Stimme war von einer Lunge voll Qualm erstickt gewesen. »Mann, alle Welt ist überzeugt, dass Sie tierisch versackt sind.« Zwei Rauchfäden waren aus seinen Nasenlöchern gestiegen. »Hier finden Sie nie wieder eine Stelle.«
»Es gibt andere Krankenhäuser. Auf anderen Welten.«
»Ja, sicher.« Ito hatte heiser gelacht. Er hatte die Augen gegen den Qualm zu Schlitzen verkniffen, und als er redete, hatte die
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