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Tochter des Glücks - Roman

Tochter des Glücks - Roman

Titel: Tochter des Glücks - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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über die Grenze zu kommen? Das wäre eine überaus anstrengende und lange Reise, bei der wir wochenlang auf unbefestigten Straßen fahren und zahlreiche Kontrollposten passieren müssten. Joy und die anderen würden das nicht schaffen. Wir müssen zurück nach Shanghai, damit sie wieder Kraft schöpfen können (wenn sie überleben), Geld und Essen sammeln (wenn es mir gelingt) und einen Fluchtplan schmieden (wenn wir so lange durchhalten).
    Wo sich die Möglichkeit bietet, halten wir an, um ein bisschen Essen zu kaufen, und wir verteilen es an Joy, Tao und Ta-ming. Wir geben ihnen immer nur ein, zwei Bissen auf einmal, damit ihre Mägen sich daran gewöhnen und die Nahrung bei sich behalten. Das Baby bekommt Fläschchen mit verdünnter Sojamilch, denn wir wollen seinen geschwächten Körper nicht überfordern. Der Junge hat bisher keinen Ton von sich gegeben, und die Schreie des Babys sind schwach. Weder Joy noch Tao sagen viel. Reden ist zu anstrengend. Nachts parke ich weit vom Straßenrand entfernt. Z. G. hilft Joy auf den Vordersitz, wo sie mit dem Kopf auf meinem Schoß schläft. Ich bin erschöpft, aber ich bleibe wach und sehe zu, wie sich der Brustkorb meiner Tochter mit jedem Atemzug hebt und senkt.
    Als wir uns den Straßensperren nähern, mit denen die Massen daran gehindert werden, Städte wie Hangchow und Soochow zu betreten, setzt sich Z. G. wieder auf den Rücksitz und zieht die Vorhänge zu. Zu meiner großen Erleichterung passieren wir die meisten Kontrollen ohne Schwierigkeiten. Wir sind erst vor ein paar Tagen hier durchgefahren, und die jungen Männer mit ihren Maschinengewehren erinnern sich noch an die Limousine mit den blauen Vorhängen. Zusätzliche Fragen sind nicht nötig.
    Wir brauchen fünf Tage, bis wir den Stadtrand von Shanghai erreichen. Ein wenig zu essen, genügend Wasser, Tee und Sojamilch haben unsere Gruppe deutlich belebt. Im Rückspiegel sehe ich Joy, die aus dem Fenster blickt, während Tao sich zur anderen Seite lehnt und dort hinausschaut. Ta-ming sitzt zwischen ihnen, den Blick geradeaus gerichtet, ohne etwas wahrzunehmen.
    Ich erinnere mich noch an den letzten großen Kontrollpunkt mit dem Lager für die Leute, die versucht haben, illegal in die Stadt zu kommen, und biege deshalb von der Hauptstraße ab und fahre in eine abgelegene Gegend. Z. G. und ich bemühen uns nach Kräften, Joy und Tao vorzeigbar zu machen. Ich bürste Joy die Haare und stecke sie ihr zu einem Knoten im Nacken zusammen. Z. G. zieht Tao eines seiner Hemden an und knöpft es zu. Wir haben nur vier Reisegenehmigungen. Die Wachposten am Stadtrand von Shanghai werden neugieriger sein als die auf dem Land. Das Baby kann man leicht unter Joys Bluse verbergen, aber was machen wir mit Ta-ming? Ich führe ihn zur Rückseite des Autos und öffne den Kofferraum. Er hält meine Hand ganz fest.
    Ich knie mich hin, um auf Augenhöhe mit ihm zu sein, halte ihn an den Schultern fest und spreche ganz offen mit ihm. »Du musst hier hinein. Es wird ganz dunkel und sehr unheimlich sein. Du darfst keinen Laut von dir geben. Aber es dauert nicht lang, das verspreche ich dir.«
    Ich verstaue ihn im Kofferraum, lege ihm zum Trost seinen Geigenkasten in die Arme, schließe den Deckel und fahre zurück auf die Hauptstraße. Aus dieser Richtung kommend, kann man in das Lager hineinsehen. Die Leichen hat man in eine große Grube geworfen. Bei der letzten Straßensperre bremse ich und reiche dem Wachmann vier Sätze Papiere. Misstrauisch blättert er sie durch. Als er mir über die Schulter auf den Rücksitz guckt, schnauzt Z. G. ihn an. »Wir sind in einer wichtigen Angelegenheit unterwegs. Geh zur Seite, und lass uns durch, sonst zeige ich dich an!« Das klingt streng, und der Wachmann gehorcht. Ich bin die Einzige, die die Furcht aus Z. G.s Stimme heraushört. Sobald wir in die Innenstadt kommen, fahre ich in eine Gasse hinein und hole Ta-ming aus dem Kofferraum.
    »Du bist ein braver Junge. Ein tapferer Junge.«
    Er reagiert nicht auf mich. Ich habe Verständnis dafür, dass er so unzugänglich ist. Ich habe das selbst durchgemacht, als ich vor dreiundzwanzig Jahren aus Shanghai geflohen bin.
    Zwei Stunden später sitzen Z. G. und ich an seinem Esszimmertisch. Joy und Tao ruhen auf zwei Sofas im Salon, wo wir sie sehen können. Sie sind zu schwach, um nach oben in die Schlafzimmer zu gehen. Z. G.s Dienstmädchen haben eine klare Brühe gekocht. Ich möchte Joy und Tao immer noch nicht erlauben, selbstständig zu essen. Die

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