Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
wurde zur Wärme in den Lenden, wurde verwandelt in einen Strudel, der durch den Schädel läuft, der harte Knall von Juttas Läden, die geschlossen werden, ein plötzlicher Schmerz unter dem Nabel. Sie denkt, dass die Neugierde vielleicht doch Blendwerk des Teufels war, aber in dem Traum war Christus so sanft, wie es nur Gottes Sohn sein kann. Sie würde Jutta gerne frage, ob der Teufel die Liebe Gottes nachbilden kann, denn in dem Traum brannte sie stärker als ihr eigenes Geschlecht. Aber Jutta bleibt in ihrer Zelle, sie versteckt sich in der Dunkelheit und steht mit den Füßen in eiskaltem Wasser, bis sie sie nicht länger spüren kann.
Hildegard will sich nicht schämen. Sie lauscht auf Antworten in ihrem Gebet. Aber der Schuld kann kein Mensch entgehen, sie läuft so stark durch Hildegards Adern, dass sie aus ihrer geheimen Stelle rinnt, und sie wacht mit von Blut klebrigen Schenkeln auf. Ein neuer und unerwarteter Schmerz, eine schwere Kugel, die im Becken vor- und zurückrollt, Gottes Faust und Strafe. Hildegard will sich verstecken, will so tun, als sei nichts, aber das Laken und das Stroh entlarven sie. Sie beugt ihren Kopf und wartet auf Udas Entsetzen, auf Juttas Strafe. Aber Uda nickt nur, als habe sie erwartet, dass es passieren würde. Sie nickt und spricht einfühlsam mit Hildegard, als sei es ein Geheimnis, das sie teilen, als ob Hildegard schon wisse, warum sie so bestraft werden muss.
Erst als Uda alle Brüder aus der Badestube gejagt und ein Alterchen vor die Tür gesetzt hat, um sie von draußen zu bewachen, versteht die Alte es: Jutta hat es dem Mädchen gar nicht erklärt, so wie sie es zugesagt hatte.
Uda schrubbt Hildegards Rücken, bis es brennt, schrubbt ihre Arme, bis die Haut beinahe in Fetzen hängt. Latein und Psalmen und Bibelverse kann Jutta sie lehren, aber über den Körper, an den ihre Seele in dieser Welt gekettet ist, will sie offenbar nicht reden. Uda schrubbt und schnaubt und tobt, bis Hildegard erschrocken von ihr wegrückt, und sie will es wiedergutmachen, indem sie sanft zu ihr spricht, es ihr so gut erklärt, wie sie es selbst verstanden hat, ihre Arme und ihren Rücken mit Lavendelöl und Fett einreibt. Hildegard nimmt ihre Erklärung schweigend entgegen. Ausnahmsweise unterbricht sie sie nicht mit Fragen. Erst als sie zurück in der Klause sind und Hildegard das Leinen ausbessert, während Jutta sich hinter ihren Läden versteckt, wagt sie es, über das schändliche Blut zu sprechen.
»Es ist also eine Reinigung?« Uda nickt, ohne von ihrer Handarbeit aufzusehen.
»Deshalb ist das Blut unrein? Und so giftig, dass es den Wein sauer und Hunde wahnsinnig machen kann?« Uda nickt wieder. Sie wagt nicht, zu viel über die magischen Kräfte des Blutes zu sprechen, das würde Jutta nicht gefallen.
»Und es soll zeigen, dass die Frau fruchtbar ist und unter Schmerz gebären muss, weil Eva Adam verlockte und sie aus dem Garten des Paradieses vertrieben wurden?« Uda deutet nickend auf Hildegards Handarbeit, und das Mädchen senkt den Blick und nimmt ihre Arbeit wieder auf. Sie schweigt lange, aber dann kann sie sich wieder nicht beherrschen.
»Warum hat Jutta mir nicht davon erzählt?«, flüstert sie so leise, dass es fast nicht zu hören ist. »Warum beschützt der Juwel der Jungfräulichkeit mich nicht? Glaubt Gott nicht daran, dass ich nur seine Braut sein will und überhaupt nicht fruchtbar zu sein brauche?«
15
Das Jahr 1113
Hildegard besteht darauf, die Klostergelübde abzulegen, bevor sie ihre Lehrzeit im Infirmarium beginnen soll. Jutta hatte gemeint, das könne warten bis nach Weihnachten, aber sie fügt sich. Hildegard hat recht. Es wäre eine Zumutung, die Brüder zu bitten, eine junge Frau zu unterweisen, die sich noch nicht vollkommen Gott ergeben hat. An ihrem Tauftag, dem Tag der bußfertigen Maria im Juli, kurz nach ihrem fünfzehnten Geburtstag, liegt Hildegard wieder auf dem Boden der Kirche am Disibodenberg. Sie weint vor Freude und Erleichterung, als sie den Schleier bekommt. Ihre Eltern sind gekommen, um bei der Zeremonie dabei zu sein. Sie haben sich verändert im Laufe der Jahre, die vergangen sind, seit sie sie das letzte Mal gesehen hat. Sie sind Fremde, die nur eine schwache Ähnlichkeit mit den Menschen haben, die sie in den ersten acht Jahren ihres Lebens großgezogen haben. Sie ist ihrer Mutter über den Kopf gewachsen und kann kaum glauben, dass die kleine alte Frau wirklich Mechthild ist. Auch Hildebert ist geschrumpft, seine Haut
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