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Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Lise Marstrand-Jørgensen
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woran sie dabei denkt.
    »Du bist so geduldig mit mir, Volmar, viel mehr, als ich es verdient habe.« Sie vergräbt das Gesicht in den Händen.
    »Ich weiß nicht, worauf du hinauswillst«, antwortet er.
    »Mir ist, als seist du mein Vater«, sagt Hildegard durch die Hände hindurch. »Jutta sagt, es sei Sünde, sich einem anderen Menschen anzuschließen, aber ich bereue es nicht.«
    »Jutta sieht strenger …«, beginnt er, denn Volmar kennt Juttas unmenschlich strengen Glauben. »Jutta will das Beste für dich«, sagt er stattdessen.
    »Das macht auch nichts«, flüstert Hildegard, »Gott sieht in mein Herz, und ich weiß, er findet nichts Sündiges im Verhältnis einer Tochter zu ihrem Vater.« Er kann an ihrer Stimme hören, dass sie lächelt, und das verwirrt ihn.
    »Ich verstehe nicht …«
    »Um Vergebung, Volmar, ich spreche nicht klar zu dir. Ichweiß nicht, was heute mit mir ist, aber mich plagen Schuldgefühle und Reue, seit ich dir gegenüber so aufgefahren bin, als du nicht verstanden hast, was ich meinte.«
    Volmar lehnt sich im Stuhl zurück. Er reibt sich den Nacken, schließt ein paar Sekunden lang die Augen. Er hat keine Ahnung, wovon sie spricht.
    »Nein, jetzt tue ich es wieder«, sagt sie leise, »vergesse und wühle.« Sie schüttelt den Kopf, vermeidet es aber, Volmar anzusehen.
    »Es war damals, als ich gerade begonnen hatte, dir im Infirmarium zu helfen. Ich habe dir gegenüber zum ersten Mal die grüne Kraft erwähnt. Du hast nicht verstanden, wovon ich sprach, weil ich es nicht erklärt hatte, und ich habe geglaubt, du würdest mir mit Misstrauen und Spott begegnen, obwohl du nur neugierig warst. Ich habe mich geschämt … und doch wusste ich, dass ich recht hatte.« Das Letzte sagt sie so leise, dass er es beinahe nicht hören kann.
    »Ich hätte dich fragen können, was genau du gemeint hast. Ich dachte aber nie, weder damals noch jetzt, dass es dein Wunsch war, mich mit deinem Zorn zu treffen.«
    »Das weiß ich wohl«, flüstert sie.
    »Aber zu sagen, dass du wusstest, du hattest recht, klingt weniger nach Demut als Hochmut, Hildegard.« Er trommelt zerstreut mit den Fingerspitzen auf die Tischplatte.
    Sie fährt auf. Geht zur Tür, bleibt auf halbem Weg stehen und kommt zurück. Sie hat Tränen in den Augen, als sie sich hinsetzt.
    »Jutta sagt, ich darf unter keinen Umständen mit jemandem darüber sprechen, sie sagt, dass alle anderen außer ihr und dem Abt es missverstehen werden und glauben, ich sei verrückt oder vom Teufel verleitet«, ihre Stimme zittert.
    Er will etwas sagen, aber sie hebt warnend den Finger.
    »Obwohl ich mich bemüht habe, kann ich einfach nicht glauben, dass Jutta recht hat, Volmar. So ungehorsam bin ich, hättest du das von mir geglaubt?«
    »Du musst mit deinem Beichtvater sprechen«, beginnt er, aber sie unterbricht ihn.
    »Nicht einmal mit meinem Beichtvater kann ich sprechen, Volmar. Du musst mich anhören, denn von den Menschen vertraue ich dir am meisten.«
    Hildegard erzählt. Sie spricht in kurzen Sätzen. Das Lebende Licht, sagt sie. Zu sehen, was für andere unsichtbar ist . Volmar fragt, wie lange sie schon Schauen hat. Schon immer, antwortet sie. Als ich drei Jahre alt war, sah ich ein so mächtiges Licht, dass meine Seele erbebte, und seitdem habe ich viele Dinge gesehen. Das Kalb, die Totgeburt, das ermordete Mädchen, gewöhnliche Dinge wie die reisenden Pilger, die das Kloster empfangen wird, Dinge und Zusammenhänge, die mir niemand erzählt hat. Volmar will wissen, wem sie es erzählt hat. Meiner Mutter, meinem Kindermädchen, Jutta und Abt Kuno. Jutta sagt, es ist der Herr, der zu mir spricht. Volmar ist einen kurzen Augenblick still, bevor er nach den Begleitumständen fragt. Ich bin wach, erklärt sie, bei vollem Bewusstsein, es ist, als sähe ich mit anderen Augen, aber gleichzeitig doch mit jenen, mit denen ich dich in diesem Augenblick sehe. Alles steht klar vor mir, jedes Detail ist deutlich wie am helllichten Tag, nichts entgeht meinem Blick, und obwohl ich nicht sehr alt war, als ich verstand, dass kein anderer das hört oder sieht, was ich höre und sehe, sind die Stimme und die Schau gerade so deutlich wie das, was ein jeder mit seinen Augen sehen und mit seinen Ohren hören kann. Volmar fragt noch einmal, ob sie es noch anderen erzählt haben kann. Uda vielleicht? Uda weiß es, auch wenn sie nichts gesagthat, denn jedes Mal, wenn die Schau stark war, wird Hildegard vom Fieberwahn gepackt.
    »Obwohl du meinst, da seien keine

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