Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
versuchen, zu gehorchen und an den Herrn zu denken in allem, was ich tue.« Sie verstummt und ballt ihre zitternden Hände zu Fäusten, um ruhig zu bleiben.
Volmar schweigt, und sie wagt nicht, ihn anzusehen. Sie stehen auf dem Pfad zum Kräutergarten, hinter dem Flechtzaun harkt einer der Brüder die Beete mit einem trockenen, rhythmischen Geräusch.
»Vergib mir«, sagt Volmar und streckt die Hand aus. Bevor er sie berührt, zieht er sie wieder zurück. »Ich wusste ja nicht …«
Aber Hildegard ist aufgebracht und unterbricht ihn mit einerHandbewegung. Schweiß perlt entlang der Kante ihres Schleiers. Sie legt eine Hand über ihre Augen, schüttelt den Kopf, und Volmar weiß nicht, was er tun soll.
»Hildegard«, flüstert er und klingt wie ein Vater, der nachsichtig zu seinem widerwilligen Kind spricht.
Hildegard nimmt die Hand von den Augen. In ihrem Blick brennt eine Verzweiflung so groß und wild, dass er schweigt. Sie zögert, als wolle sie etwas sagen, geht dann aber weiter den Pfad entlang zum Kräutergarten. Er folgt ihr. Sie sollen Rainfarn und Blutwurz schneiden. Sie lässt sich auf den Knien vor dem Beet nieder, sie zieht Unkraut und verirrte Grashalme mit hitzigen Bewegungen aus der Erde. Er kniet sich vor ein anderes Beet ein paar Meter von ihr entfernt und jätet sorgfältig zwischen den Pastinaken. Sie arbeiten still, bis er aufsteht und das kleine, scharfe Schnittmesser von seinem Gürtel löst. Ohne sie anzusehen, kann er spüren, dass sie sich beruhigt hat. Sie kommt zu ihm, und er spricht, während er durch die zähen Stängel des Rainfarns schneidet: gut gegen Katarrh und Husten, eine warme Pflanze, die überschüssige Körperflüssigkeiten bindet, sodass sie den Leib nicht in Form von Schleim oder Galle überschwemmen, kann in Gebackenem oder zusammen mit Fleisch gegessen werden, wenn der Patient so schwach ist, dass es ratsam ist, Fleisch zu essen. Hildegard nickt und nimmt die Blumen entgegen, die Volmar schneidet.
»Wirkt also die kalte Natur von Ziegenfleisch der Wärme des Rainfarns entgegen?«, fragt sie.
»Nicht unbedingt«, antwortet er, »aber die Frage ist ausgezeichnet.«
»Aber was ist mit Kalbfleisch, das noch kälter ist?«, fragt sie, und er nickt.
»Was würdest du also vorschlagen, Hildegard?«
Sie verlagert das Gewicht von einem Fuß auf den anderen, wie es ihre Gewohnheit ist, wenn sie etwas gründlich überlegt.
»Ich denke, der Hund muss das wärmste Tier sein, das wir kennen, weil er uns mehr ähnelt als irgendein anderes Geschöpf und weil er ein besonderes Gespür für seinen Besitzer hat und imstande ist, Liebe und Loyalität zu zeigen«, sie riecht an dem Arm voll Blumen und lächelt. »Aber ich glaube nicht, dass jemand, der alle fünf Sinne beieinanderhat, einen Hund essen würde.«
Volmar lächelt ebenfalls. »Der Teufel hasst und verabscheut gerade den Hund wegen seiner Loyalität gegenüber dem Menschen«, sagt er, »und obwohl du es nicht glaubst, können Menschen in großer Not darauf verfallen, alles zu essen. Aber Hundefleisch ist unrein, es würde nur größeren Schaden bei Schwachen und Kranken anrichten. Eingeweide und Leber des Hundes sind geradezu giftig, aber ich habe mir sagen lassen, die Zunge sei so warm, dass sie Wunden heilen könne, die sonst nicht heilen würden.«
»Die Zunge?« Hildegard schneidet eine Grimasse.
»Ja, so heißt es, aber ich habe noch nie gesehen, dass es ausprobiert wurde.«
»Von einem toten Hund?«
»Ja, natürlich.«
»Ich dachte nur, man könnte doch einen lebenden Hund eine Wunde lecken lassen …« Hildegard zuckt mit den Schultern und geht hinter Volmar her, der Kurs auf den Blutwurz setzt.
»Nein, das …«, er weiß nicht, was er zu dem sonderbaren Gedanken des Mädchens sagen soll, »das ist wohl keine gute Idee.«
»Dann bleibt es bei Ziegenfleisch, Lammfleisch oder Federvieh«, sagt Hildegard und legt das Bündel Rainfarn auf einem Tuch vor sich auf die Erde.
»Was?« Volmar dreht sich verwirrt zu ihr um.
»Die am besten für die Kranken sind«, sagt sie und wickelt Bast um den Strauß.
17
Es sei Sünde, sich mehr dem einen als dem anderen anzuschließen, wenn man das Klosterleben gewählt hat, ermahnt Jutta Hildegard, denn menschliche Verbindungen stehen dem Verhältnis zu Gott im Weg. Hildegard schämt sich nicht. Zwischen ihr und Volmar ist keine Sünde, und Hildegard bittet Abt Kuno selbst darum, von Volmar weiterhin unterrichtet zu werden. Jutta ist entsetzt über die
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