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Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Lise Marstrand-Jørgensen
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sein ungeborenes Kind zu achten wie einem Neugeborenen Nahrung vorzuenthalten.
 
    Volmar ist im Kräutergarten, er liegt auf den Knien vor einem Beet mit Mutterkraut und Kamille. Er trägt einen breitkrempigen Hut zum Schutz gegen die Sonne. Hildegard lächelt, sagt, er gleiche einem Bauern.
    »Ein Bauer des Herrn«, antwortet er, steht auf und bürstet den Staub von seinen Knien.
    »Ich habe die Schwangere noch nicht ordentlich untersuchen können«, beginnt Hildegard, »sie ist so sehr von Angst und Versuchungen geplagt, dass ich für sie beten und ihr zuhören musste, bis sie zur Ruhe kam.«
    »Vernünftig«, antwortet Volmar und nickt. Er weiß sofort, dass es etwas anderes als Krankenpflege ist, was Hildegard auf dem Herzen hat.
    »Sie ist unverheiratet, und der Vater erzwang sich Zugang zu ihr.« Sie zögert, Volmar nickt nachdenklich. »Ich weiß nicht …«, setzt sie wieder an und sieht weg. Giftiger Eisenhut wächst entlang der Mauer, Trauben blaulilafarbener Blüten nicken im Wind.
    Volmar kneift den Kopf von einer Kamille, reibt damit über einen Riss am Handrücken.
    »Sie schlief, als ich kam, und ich setzte mich an ihr Bett, um sie zu wecken. Ich sah … ›Das Lebende Licht‹ offenbarte sich … oder es war tatsächlich …« Sie presst die Handflächen gegen die Schläfen. Als sie Volmars verwirrten Gesichtsausdruck sieht, muss sie lachen.
    »Luzifer«, sagt sie, ohne die Stimme zu senken, sodass Volmar zusammenzuckt.
    »Luzifer sprach zu mir, aber es war das Licht, das ihn mir zeigte«, sagt sie, als begreife sie es selbst erst jetzt. »Genau so war es.«
    Volmar legt den Kopf zurück und sieht in den Himmel. Das tiefe Blau des Oktoberhimmels tut gut, er stellt sich vor, es fließe direkt in ihn hinein.
    »Ich spreche nicht klar«, sagt Hildegard entschuldigend. »Ich hatte überhaupt nicht daran gedacht, dass ich dich mit meinen Worten erschrecken könnte, Volmar.«
    Er wedelt abwehrend mit der Hand vor sich in der Luft herum.
    »In der Schau sah ich die Erklärung dafür, wie die Sünde in die Welt kommt … ich verstand … ich muss mich fügen … nicht so eigenwillig sein … ich verstand … ich sah, dass das Schöpfungswerk noch immer im Werden ist … Volmar, die Frau hat eine Schlangenzunge auf ihrem Schenkel, sie schnappt nach ihrem Geschlecht … Im Übrigen kann sie dort drinnen nicht gebären, aber wir müssen sie hierbehalten, sie muss also unter allen Umständen einen Raum für sich alleine haben.«
    »Hildegard, ich verstehe nicht, was du sagst«, er schüttelt langsam den Kopf, »nicht ein einziges Wort.«
    »Dass wir die schwangere Frau hierbehalten müssen, das hast du doch wohl verstanden?«, fragt sie neckisch, und er nickt verbissen, kniet sich vor das Beet und setzt seine Arbeit fort.
    Hildegard geht neben ihm in die Hocke. Sie legt die Hand für einen Augenblick auf seine Schulter. Als sie sie wegnimmt, kann er sie immer noch spüren.
    »Entschuldige, Volmar, ich kann es dir zu einem anderen Zeitpunkt besser erklären.«
    Er nickt, ohne aufzusehen. Niemals hat er sich so sicher gefühlt, dass Jutta und der Abt recht haben, wenn sie Hildegard verbieten, über ihre Schauen zu sprechen.
    »Manchmal muss ich es sagen, um es selber zu verstehen«, flüstert sie und richtet sich auf. Sie bleibt hinter ihm stehen. Das Mutterkraut duftet süß und kräftig, ihre Gedanken jagen in verschiedene Richtungen auseinander.
    »Hast du den jüngeren Mann bemerkt, der auf einer Seite solche Schmerzen im Kopf hatte und erzählte, es sei in einem Anfall gekommen? Er erholte sich, wie ich es gehofft hatte, als ich ihm Mutterkraut gab. Aber er bekam eine Wunde im Mund,die ganz genau so geformt war wie das Blatt, das er unter der Zunge hatte … es klingt vielleicht so, aber Luzifer … die Schau war nicht furchterregend, Volmar … was meinst du also, wo wir sie hinlegen sollen?«
    Volmar legt eine Hand voll Blütenköpfchen in den Korb.
    »Die Wunde verschwindet, wenn die Kur beendet ist, und die Frau müssen wir in den Lagerraum neben der Kräuterküche legen. Du musst die Brüder bitten, das Bett dort hineinzubringen. Aber es ist das Beste, wenn nur du nach der Schwangeren siehst … ein Kind können wir nicht hierbehalten, sie muss sogleich entscheiden, wer sich darum kümmern soll, wenn es zur Welt gekommen ist.«
 
    Margreth stöhnt, wenn Hildegard ihren Bauch berührt. Hildegard hat Schwierigkeiten zu ertasten, wie das Kind liegt, denn sie ist ungeübt und der Bauch hart

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