Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Teufelskind stillen? Ist jede lebend geborene Seele eine Schöpfung Gottes?
Margreth hat heftige Wehen. Der Mond wird von blauen Wolken gespalten, Raureif glitzert im Gras. Hildegard muss es alleine schaffen. Volmar wird ihr nur im äußersten Notfall beistehen, denn die Frau ist unrein und das Blut giftig für einen Mann.
Schlitzt ein Teufelskind den Mutterschoß mit seinen Hörnern auf? Zeigt Gott Barmherzigkeit, indem er das Kind sterben oder indem er es leben lässt?
Ein Damm wird zerrissen. Es muss Gleichgewicht zwischen Wärme und Kälte, trocken und feucht, Blut, Galle und Schleim herrschen. Gott schuf Adam aus der trockenen, warmen Erde, zog Eva aus dem kühlen Fleisch.
Kühle Frau, flatterhaft und treulos. Feuchte, gierige Frau. Die Gebärmutter ist kalt, und die Begierde lockt den Mann an, verlangt, dass er sie mit seinem heißen Samen wärmt. Die Schlange zeigte, dass Satans Wut es leichtmacht, eine Frau zu verführen, sie kann ihre Beine nicht zusammenhalten.
Die Frau, eine öde Landschaft geformt von Sturm, Schnee, Regen. Die Frau ist an die Erde gebunden, wie ein Reptil, das in schattigen Höhlen und an kalten Wasserlöchern lebt. Deine Erde ist weich und schwarz, der Sämann hat die Hände voller Samen. Der Mann ist das Feuer, die Sonne, die den Mond erhellt.
Frau, deine Begierde wird Frucht reifen lassen. Sie reißt Stoff nicht entzwei und brandmarkt niemanden. Im Knochenmark schwelt das Verlangen, pulsiert, atmet, keucht. Die Kontraktionen beginnen als Wärme im Kopf, sie breiten sich entlang desRückgrats aus, bis sie im Schoß den Samen zu sich rufen, über ihn wachen in dunklen, feuchten Höhlen, wie eine um einen kostbaren Stein zur Faust geballte Hand.
Die Faust ist so fest geballt, dass sie nicht ohne Schmerz geöffnet werden kann. Evas Töchter, verstoßene und bemitleidenswerte Sünderinnen. Margreth jammert nicht mehr, ihr Bauch ist hart wie Stein. Hildegard wäscht sich die Hände. Lieber Gott, verschone diese Sünderin. Lieber Gott, lasse deinen Willen geschehen. Lieber Gott, gib mir Kraft.
Es läuft warm und klebrig über Hildegards Hände. Die Kuh kalbt wie die Frau, aber das Menschenkind ist kein glanzäugiges Kalb. Hildegard kniet zwischen Margreths Beinen, der scharfe, säuerliche Geruch ritzt rote und grüne Muster in den Boden. Der Kopf des Kindes ist mit schwarzen Haaren bedeckt, aber er hat keine Hörner. Ein kleines, fremdes Gesicht, ein dunkler, glänzender Fisch zwischen Hildegards Händen, die Nabelschnur pulsiert, wird abgebunden und durchgeschnitten. Jetzt gehören der Junge und seine Mutter nicht länger zusammen.
Hildegard steht mit dem Kind in den Armen da, eine Unendlichkeit lang atmet er nicht. Selbst ein Kind der Sünde schlägt Wurzeln in einem Mutterherzen. Margreth stemmt sich auf den Ellbogen, sie fürchtet um das Leben des Kleinen. Der Junge schnappt nach Luft, wimmert, schreit lauter und lauter, und Hildegard lacht vor Schreck. Sie wäscht ihn, packt ihn in Tücher, wickelt ihn stramm und warm ein und überlässt ihn Volmar.
24
Nach der Geburt wird Margreth rasch gesund. Die Schmerzen verschwinden im Lauf einer Woche, und sie schläft mehr, als sie wach ist. Obwohl es für die Mönche beschwerlich ist, muss sie die vierzig unreinen Kindbetttage liegen bleiben, und nur Hildegard kann nach ihr sehen und sie untersuchen. Die Mönche sind nervös, und auch Abt Kuno ist nicht glücklich darüber, dass Margreth im Infirmarium liegt.
Hildegard freut sich darüber, dass Margreth mit der Stärke des Glaubens und Gottes Hilfe ihren Kampf gegen den Teufel gewann. Jetzt, da ihr Körper eine leere und weiche Hülle ist, hat sich die Schlange an einen anderen Ort verzogen. Vielleicht ist sie in das neugeborene Kind gefahren, vielleicht ist sie in die Tiefe der Hölle verschwunden, wo sie auf der Lauer liegt, bereit zum Biss. Margreths Bruder nahm das Kind an sich, er wollte auf dem Weg zurück nach Schmie eine kinderlose Frau finden. Wenn Margreth den Vater nicht heiraten will, ist es das Beste, dass niemand weiß, wo das Kind ist.
Margreths Körper versteht es nicht, die Brüste schwellen an mit Milch, sie wird von Sehnsucht nach ihrem Kind geplagt. Sie spricht nicht, antwortet kaum, wenn Hildegard etwas zu ihr sagt. Also lässt sie sie zufrieden. Sollte der Teufel ihr die Fähigkeit zu sprechen genommen haben, ist es trotz allem ein billiges Pfand für die Sünde. Hildegard betrachtet Margreths Rücken. Ihr schmaler Nacken verschwindet in einem
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