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Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Lise Marstrand-Jørgensen
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Wirbel hochgesteckter Haare. Hildegard frisiert sie. Das Haar ist sogar nach einer Woche im Bett immer noch weich, die Locken gleiten geschmeidig zwischen Hildegards Fingern hindurch.
    Nach vierzig Tagen kann der Zuber in der Badestube für Margreth eingelassen werden. Hildegard hilft ihr, die Sachen auszuziehen. Es ist Januar, und sie fröstelt in dem feuchten Raum vor Kälte. Erst als sie in das heiße Wasser eintaucht, bekommen ihre Wangen Farbe. Sie lehnt den Nacken auf die Kante des Zubers, Schweiß perlt von ihrer Nase. Hildegard wäscht ihr das Gesicht mit einem Lappen. Die Wimpern zittern, und die blauen Schatten unter ihren Augen treten deutlicher hervor, wenn Lippen und Wangen glühen. Die Brüste spannen nicht mehr, dennoch läuft aus jeder Brustwarze ein feiner, milchiger Nebel in das Wasser. Ihre Haut ist glatt und hell, ihre Ohren wie Muscheln. Hildegard ist die Körper im Infirmarium gewohnt. Kranke, zusammengefallene, stinkende Körper. Gezeichnete, geplagte Körper mit Wunden und Beulen und Ausschlag. Margreth im Zuber ist eine Fürstin, sie hat die Augen geschlossen, sie formt ihre Hände zu einer Schale und wäscht ihr Gesicht. Das Wasser läuft ihr über Schultern und Hals, duftet nach Seife und Lavendel.
    Hildegard reibt sie mit dem Handtuch trocken. Von zu Hause ist Margreth es gewohnt, bedient zu werden, und lässt Hildegard auch ihre Füße abtrocknen. Kleine, rundliche, hellrote Zehen, aufgeweicht und runzelig. Hildegard hält den warmen, weichen Fuß fest und trocknet ihn sorgfältig. Die Schlangenzunge schillert immer noch auf Margreths Schenkel, aber die Narbe ist nicht mehr ganz so dick.
    »Du hast mit dem Teufel gekämpft«, sagt Hildegard.
    »Da, wo die Narbe ist, ist die Haut gefühllos«, sagt Margreth und zieht die Haut mit beiden Händen auseinander.
    »Dein Glaube ist stark«, sagt Hildegard und hilft ihr auf die Beine. Sie knetet Mandelöl in Margreths kräftiges Haar und wickelt ein Handtuch darum.
    »Was soll aus mir werden?«, flüstert Margreth.
    Hildegard antwortet nicht. Sie schmiert Margreths Rückenin langen Strichen mit Öl ein. Die Haut ist weicher als das feinste Fell, beinahe wie Pelzwerk.
 
    Margreths Worte lagen Hildegard auf der Seele, als sie aufwachte, und sie hatte ein ungutes Gefühl im Körper. Am Nachmittag ist ihre Stimmung immer noch bedrückt, und als sie nach der Mahlzeit auf dem Psalterium spielt, klingt es nicht richtig. Sie trifft den Ton nicht und muss von vorne anfangen, obwohl sie die einfachsten Psalmen spielt. Schließlich legt sie das Instrument weg. Sie macht sich Sorgen um Margreth, die im Gästehaus auf ihren Bruder wartet. Mit Jutta kann sie nicht darüber sprechen, sie hat die kranke Schwangere erwähnt, aber Jutta zeigt kein besonderes Interesse daran, was im Infirmarium vorgeht. Sie überlegt, Volmar aufzusuchen und ihn zu bitten, an ihrer Stelle zum Abt zu gehen, entscheidet sich aber anders und klopft selbst an Kunos Tür.
    Abt Kuno kennt Hildegard gut genug, um zu wissen, dass sie kaum ohne eine wichtige Angelegenheit zu ihm kommt. Er ist trotzdem verärgert darüber, gestört zu werden, und bittet sie nicht herein.
    »Ehrwürdiger Vater, es geht um Margreth von Schmie, die kam, als sie schwanger war, und uns nun verlassen soll«, sagt sie geradeheraus.
    Der Abt lehnt sich gegen den Türrahmen und verschränkt die Arme vor der Brust. »Soweit ich weiß, ist sie gesund und wartet im Gästehaus darauf, von ihrem Bruder abgeholt zu werden.«
    »Ich möchte, dass sie hierbleibt«, sagt Hildegard ohne Umschweife.
    Kuno ist verblüfft. Sie ist eine Frau, eineinhalb Köpfe kleiner als er, und trotzdem bringt sie ihren Wunsch mit einer Selbstverständlichkeit vor, als sei sie der Erzbischof selbst.
    »Ich habe eine furchtbare Ahnung«, fährt sie unbeirrt fort. »Geht Margreth von hier fort, hat sie nur den Tod zu erwarten.«
    »Sagst du, es gibt jemanden, der ihr etwas antun will?«
    »Ich sage nur, dass wir sie nicht fortlassen dürfen.«
    »Wie in aller Welt stellst du dir das vor?« Kuno ist eher überrascht als wütend.
    »Uda ist tot, ihre Kammer ungenutzt«, antwortet Hildegard. Sie hat es durchdacht.
    »Soll Margreth Dienstmädchen sein? Sie ist die Tochter eines Grafen, wie ich gehört habe, Hildegard.«
    »Sie ist die Tochter eines Grafen, und sie ist berufen von Gott. Sie kann ihr eigenes Dienstmädchen mitbringen, wenn sie das will.«
    »Aber was soll Margreth hier tun? Mit den Brüdern herumspazieren?« Kuno schnaubt ob einer

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