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Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Lise Marstrand-Jørgensen
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solchen Torheit.
    »Nein, sie soll in der Klause bleiben und darf nur bis in den Innengarten kommen, das ist klar. Ich stelle mir vor, dass sie unter Juttas Aufsicht als Novizin ins Kloster aufgenommen und nach der Prüfung im Noviziat ihre Gelübde ablegen kann.«
    »Du stellst dir vor?« Für gewöhnlich fehlen Abt Kuno nicht die Worte, aber er hat keine Ahnung, was er auf Hildegards Torheiten antworten soll. Er dreht ihr den Rücken zu und geht wieder hinein in den Vorraum. Hildegard bleibt draußen vor der Tür stehen.
    »Ich möchte nicht ungehorsam sein, ehrwürdiger Vater«, sagt sie zu seinem Rücken.
    »Das hier ist mehr als Ungehorsam, Hildegard.« Er setzt sich auf die Bank an der Wand. »Ich weiß weder, was ich sagen, noch, wie ich dich bestrafen soll.«
    »Du hast uns immer mit Gerechtigkeit behandelt«, entgegnet Hildegard leise, »und welche Strafe du auch immer für angemessen hältst, ich werde sie antreten, ohne zu klagen. Aber zuerst will ich dich bitten, mir zu vergeben, dass ich mir nicht die Zeit nahm, mich ordentlich zu erklären, und dich bitten anzuhören, was ich auf dem Herzen habe.«
    »Dann sprich, aber trage deine Rede mit Treue zu Gott vor!«, sagt der Abt und breitet die Arme aus.
    »Zuallererst hoffe ich inbrünstig, du mögest mit den offenen Ohren deines Herzens hören, statt zu horchen wie ein Tier, das allein Geräusche, nicht aber Worte wahrnimmt. Ich bin es, die spricht, doch es ist ›Das Lebende Licht‹, das nicht Ungerechtigkeit und nicht Unwahrheit kennt, das mich vor deine Tür geführt hat. Ich kleide meine Worte nicht in Schmeicheleien und vergesse, mit der passenden Höflichkeit zu dir zu sprechen. Aber ich lasse mich stets von Gottes Willen und nicht von meinem eigenen leiten.« Hildegard hält einen Augenblick inne. Abt Kuno, der nicht weiß, ob er wütend oder erleichtert sein soll, gibt ihr ein Zeichen, fortzufahren.
    »Schon vor einigen Tagen fühlte ich, dass der Herr mich in diese Richtung führt, aber als die Sünderin, die ich bin, habe ich so getan, als verstünde ich nicht, was ich seinem Willen nach tun sollte. Heute Morgen erwachte ich mit einem solchen Kummer im Herzen, dass ich mich nicht länger verweigern konnte. Ich bin nicht gelehrt, ich bin nur eine Frau, ich bin eine zerbrechliche Schale, und ich weiß nicht, wie es sich machen lassen kann, dass Margreth hierbleibt. Ich bin nur eine Posaune des Herrn, und geradeso wie eine Posaune, die keinen Ton von sich gibt, wenn niemand hineinbläst, spreche ich nur vom Willen des Herrn, wenn er mir den Weg weist im ›Lebenden Licht‹. Ich sage die Worte weiter, die ich selbst höre, und mir gebührt nicht die Ehre dafür. Margreth von Schmie hat gesündigt, aber ihre Sünde beruht auf dem unzüchtigen Verhältnis, das gegenihren Willen vollzogen wurde. Sie hat sich während ihrer Krankheit an die heiligen Worte und die Psalmen geklammert, und nicht ein einziges Mal habe ich sie im Glauben wanken sehen. Sie hat mir anvertraut, dass sie sich berufen fühlt, Gott zu dienen, seit sie ein kleines Mädchen war, doch haben ihre älteren Brüder sie dafür verhöhnt. Jetzt wird sie zurückkehren auf die Burg ihres Vaters, ihrer Jungfräulichkeit beraubt, was das Wertvollste und Edelste ist, das eine Frau besitzt. Du und ich können uns nur vorstellen, welch unmenschlichem Schicksal sie entgegengeht – kein ordentlicher Mann wird sich mehr mit ihr verheiraten wollen, und kein anderes Kloster hat Kenntnis von ihrer Frömmigkeit und dem Kampf gegen das Böse in ihrem eigenen Fleisch, den sie gekämpft und gewonnen hat. Gott liebt alle seine Kinder und verlangt von uns, allen zu helfen, die in seinem Namen zu uns kommen. Deshalb möchte ich, dass Margreth am Disibodenberg bleibt.« Hildegard schweigt und atmet tief.
    »Du sprichst gut für deine Sache, Hildegard, und es ist viel Wahrheit in deinen Worten. Dennoch können wir die Frau, die ich nur vom Namen kenne, unmöglich hierbehalten. Obwohl eine solide Mauer zwischen deiner und Juttas Zelle und dem Rest des Klosters ist, und obwohl du Erlaubnis erhalten hast, mit den Brüdern zusammen im Infirmarium zu wirken, ist ein Mönchskloster kein Platz für Frauen.«
    »Aber mancherorts leben Schwestern und Brüder fromm und gut innerhalb derselben Mauern zusammen. Physisch getrennt, aber in der Arbeit für Gott vereinigt. Warum sollte es nicht am Disibodenberg auch möglich sein?«
    »Weil es nicht so IST , Hildegard! Weil der Ort nicht dafür geschaffen ist. Das war

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