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Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Lise Marstrand-Jørgensen
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Er kann nicht ausmachen, ob sie schnieft oder schnaubt.
    »Ich schätze deine Ehrlichkeit, ehrwürdiger Vater«, beginnt sie, immer noch ohne sich an den Tisch zu setzen. »Und daher will auch ich dir gegenüber ehrlich sein, auch wenn du mich nicht gebeten hast zu sprechen. Die Worte, die aus deinem Munde kommen, sind die eines Mannes, der dieser Welt angehört«, fährt sie fort, aber der Abt steht auf und lässt sie mit einer entschiedenen Handbewegung verstummen.
    »Schweig still, Hildegard. Ich habe genug gehört und bitte dich nicht um deine Meinung. Ich habe die Entscheidung getroffen, um die du mich gebeten hast, und jetzt sollst du sie nicht mit deiner törichten Rede in Frage stellen.« Er kommt um den Tisch herum, kehrt aber auf halbem Weg um und geht zurück zu seinem Platz.
    Hildegard sieht den Abt direkt an, sagt aber nichts mehr.
    »Ich werde mit Margreths Bruder sprechen, der hier ist, um sie abzuholen. Seine Worte werden diese Sache entscheiden«, sagt Kuno und lässt seine Handflächen schwer auf die Tischplatte fallen.
    Nun macht sich auch Volmar bemerkbar. »Darf ich … aber …«, beginnt er stammelnd, und der Abt sieht ihn an, als habe er vergessen, dass auch er anwesend ist.
    »Ja?«
    »Wo soll sie … ich meine, wie?«
    »Es wird eine kleine Gesellschaft frommer Frauen geben«, sagt der Abt. »Jutta wird ihre Übergeordnete sein, doch ist sie natürlich nach wie vor mir unterstellt. Solange es nicht mehr sind, können sie in der Klause sein. Sollten wir später beschließen, weitere aufzunehmen, werden wir gezwungen sein zu erweitern. Da die Klause an der Nordseite der Kirche liegt, ist dazu ausreichend Platz, und …«
    »Weitere?« Hildegard kann ihre Verblüffung nicht verbergen.
    »Das wird die Zeit erweisen«, fertigt der Abt sie ab.
    »Ja, aber …«
    »Schweig still, Hildegard! Nur Gott weiß, was die Zeit bringen wird. Nur Gott weiß, was in Zukunft gut für das Kloster sein wird. Ich werde mich mit ihm beraten und habe mehr in dieser Sache nicht zu sagen. Du kannst nun hinüber in deine Zelle gehen und dort bleiben, bis ich dich rufe. Für den Rest des Tages verbiete ich dir, auf dem Psalterium zu spielen, und auf die Mahlzeit wirst du heute verzichten. Das ist eine milde Strafe für deinen Ungehorsam, Hildegard, und ich weiß, dass du dir darüber im Klaren bist.«
    Hildegard nickt. Sie sehnt sich danach, alleine zu sein.
 
    Margreths Bruder hält sich nicht lange mit der Entscheidung auf, und Jutta wird mehr informiert als gefragt. Hildegard lauscht von ihrer Zelle aus, während Kuno mit ihr spricht. Überraschenderweise widerspricht Jutta ihm nicht. Hildegard ist nie im Gästehaus gewesen, aber jetzt soll sie Kuno begleiten und mit Margreth sprechen.
    Inmitten ihres Kummers über das Kind entfacht die Neuigkeit eine unruhige Freude in Margreth. Sie fällt vor Hildegard auf die Knie, als sie zusammen mit Kuno ins Gästehaus kommt. Ihr Bruder ist ein hochgewachsener Mann mit einem rundlichen, kindlichen Gesicht. Es war nicht schwer für den Abt, eine zufriedenstellende Absprache mit ihm zu treffen. Der Bruder war erleichtert, eine Lösung für seine Schwester zu finden, die ihn sowohl von Nachreden als auch von der Schande befreit, sie nach Schmie zurückzubringen. Die einzige Bedingung, die er stellt, ist, dass umgehend ein Dienstmädchen gefunden werden muss, das im Kloster für seine Schwester sorgen kann.
 

 

25

Das Jahr 1123
    Es gibt jetzt vier Frauen, wo vorher zwei waren. Hildegard und Jutta, Margreth und Elisabeth, eine Witwe aus dem Dorf, die für die drei anderen sorgen soll. Elisabeth schläft auf einer Matratze vor der Feuerstelle im Gelass, Margreth in Udas Bett.
    Margreths Schmuck rasselte in der Hand ihres Bruders. Im Kloster darf niemand etwas besitzen. Zuerst gab sie ihm die Goldkette mit dem tropfenförmigen Amethyst. Ohrringe, drei Fingerringe und ein mit Saphiren besetztes Armband. Hildegard half ihr in die Novizentracht, denn weder Margreths Bruder noch der Abt meinten, es bedürfe einer weiteren Prüfung, bevor sie ins Kloster eintreten könne.
    Die schwarze Tunika war so lang, dass sie aufpassen musste, nicht darauf zu treten. Hildegard musste auf einem Schemelstehen, um den weißen Schleier zu befestigen. Margreths Augen leuchteten grau inmitten des Weiß und Schwarz. Sie weinte und sagte, es sei aus Erleichterung. Ihre Lippen schimmerten, als seien sie mit Öl eingerieben.
    Nachts kann Hildegard sie weinen hören. Sie fragt nie, was sie bedrückt.

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