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Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Lise Marstrand-Jørgensen
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Steine. Die Wolken ziehen sich schwer und schiefergrau zusammen, es beginnt zu regnen.
    Hildegard zieht sich in den Schutz der Plane zurück. Zuerst fallen die feinen Tropfen als schwerer Staub, dann hart und prasselnd, das Fell der Pferde trieft vor Nässe, die großen Tiere zittern vor Kälte, als sie endlich da sind und der Kutscher sie in den Stall zieht. Hildegard steht auf dem Platz vor der Klosterherberge, in der sie schlafen soll, bevor sie morgen den Goldschmied aufsuchen kann. Sie hat Schmerzen in Beinen und Rücken, nachdem sie so lange in dem unbequemen Wagen gesessen hat. Ihre Augen brennen von all dem, was sie gesehen hat. Es ist ein Brüderkloster, und Heine wird zusammen mit den Brüdern essen. Sie muss in der Herberge schlafen.
    Bruder Heine ist verschwunden. Hildegard steht auf dem schlammigen Platz und wartet darauf, dass jemand sie empfängt und ihr zeigt, wo sie essen kann und wo ihr Bett steht. Der Regen hat nachgelassen, aber ihr Umhang ist durchnässt. Der Lärm der Menschen ist unerträglich. Sie presst die Hände auf die Ohren, und als sie sie wieder sinken lässt, ist es, als seien alle Geräusche verstärkt worden. Menschenkörper, Tiere, die Kälte aus der Erde, dieser Ort kommt ihr nicht entgegen. Heine hat sie stehenlassen, sie wartet und betet, späht und starrt in das Gewimmel, kann sich nicht aufraffen über den Platz zur Herberge zu gehen. Endlich kommt ein alter Mönch, er zieht ein Bein nach und grüßt sie stumm. Seine Augen sind freundlich und forschend, er nickt mehrere Male. Es ist, als wüchsen die Menschen hier aus der Erde, eine Schar Frauen und Kinder kommt plötzlich zum Vorschein und streckt die Hände nach ihr aus. »Mutter Hildegard, Mutter Hildegard.«
    Arme Frauen mit Kindern in Schürzen, offene, zahnlose Münder.
    »Hilf mir, Mutter Hildegard, heile mich, bete für mich, hilf mir.« Eine Frau schiebt sich durch die Schar, sie zieht das graue Hemd zur Seite und entblößt eine Brust. Sie ist schwer und aufgedunsen, die Haut ist von lilafarbenen und blauen Rissen überzogen, verkrusteter Eiter umgibt die Brustwarze. Sie trägt einen Säugling auf dem einen Arm, das kleine rote Gesicht baumelt hintenüber und zerreißt in einem Schrei.
    Hildegard streckt die Hand aus und berührt das Gesicht der Frau, das vor Fieber brennt.
    »Beichte deine Sünden, mein Kind, nur Gott kann dir jetzt helfen.«
    »Nein, nun werde ich gesund, denn Mutter Hildegard berührte mich an der Stirn.« Triumphierend drückt die Frau das Kind an sich, ihre Augen glimmen fiebrig.
    »Mutter Hildegard, hier, Mutter Hildegard, ich habe so viele Kleine verloren.« Ein junges Mädchen hebt ein schwächliches Kind hoch und hält es Hildegard hin. Das Kind ist sicher über ein Jahr alt, kann aber kaum den Kopf aufrecht halten. Hildegard geht ein wenig in die Knie, um das Kind genau ansehen zu können. Die Augen des Kleinen blicken leer und dumm, es sabbert, und der Speichel hat das Kinn rot gefärbt.
    Der alte Mönch führt Hildegard durch den Speisesaal in das beste Zimmer der Herberge. Überall sind Menschen, Leute mit schönen, kostbaren Kleidern, Bauern mit gewebten Hemden und wettergegerbten Gesichtern. Sie sprechen nur noch gedämpft, als sie hereinkommt, sie starren und flüstern miteinander. Ihr wird unbehaglich zumute. Sie bittet darum, das Essen auf ihr Zimmer gebracht zu bekommen, um alleine essen zu können. Die Fastensuppe riecht säuerlich und undefinierbar, das dünne Brot zerfällt zwischen ihren Fingern.
    Anschließend öffnet sie den kleinen Reisealtar, den der Abt ihr mitgegeben hat. Es ist ein sehr schön gearbeiteter, dreiflügeliger Elfenbeinaltar, den sie auf den Tisch stellt. Sie streicht mit den Fingerspitzen über Christi Leib und das Kreuz, lässt sie über eine Weinrebe mit Blättern und Trauben gleiten. Sie betet, bis es im Zimmer ganz dunkel ist. Gott hat ihr nichts zu sagen. Sie nimmt den Schleier ab und hängt ihn über die Rückenlehne des Stuhls, bevor sie in das breite Bett kriecht. Die Decken riechen nach ranzigem Fett und schwerem Blütenöl. Auf der anderen Seite der Wand herrscht Unruhe, es klingt,als ziehe jemand Klauen über den Boden. Ihre Gedanken fallen übereinander: Die Frauen vor dem Kloster kannten ihren Namen. Körper gehen entzwei, aber die geretteten Seelen gehören Gott, er hält sie an Zügeln aus Gold und Kristall.
    Ihre Glieder schmerzen vor Erschöpfung, aber sie kann nicht schlafen. Viele Male steht sie auf und kniet sich neben das Bett. Sie betet

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