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Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Lise Marstrand-Jørgensen
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für ihr eigenes, unruhiges Herz und die unglücklichen Seelen in aller Welt. Sie betet für die kranke Frau und für deren Kinder, die bald auf ihre Mutter werden verzichten müssen. Sie betet für das Kind mit den leeren Augen und die Kinder, die die junge Frau verloren hat. Sie betet für Volmar und den Abt und ihre Schwestern, für Disibodenberg, das sich viele Meilen weit weg in der Nacht auflöst.
    Als sie endlich eingeschlafen ist, wird sie vom Donnern der Dunkelheit geweckt. Das Frühlingsgewitter kommt ganz plötzlich, Blitze leuchten kalt und hüllen alles in gleißendes Licht. Am Disibodenberg haben einige der Schwestern Angst vor dem Gewitter, obwohl der Blitz noch nie im Kloster eingeschlagen ist. Hildegard stellt sich vor, sie liege in ihrem eigenen Bett. Auf der anderen Seite der Wand kauert sich Richardis in ihrem Bett zusammen, während sie auf das Donnern der Nacht lauscht. Richardis' Haut leuchtet hinter dem schwarzen Haar, sie besitzt die gleiche Schönheit, wie Jutta sie besaß, bevor sie sich selbst so sehr folterte, dass sie alle Lebenskraft verlor. Ihre Schläfen wölben sich sanft nach innen, ihre Adern pulsieren blau unter der dünnen, weißen Haut. Menschen können sich so sehr aneinander gewöhnen, dass sich ihre Gedanken ineinanderwickeln. Hildegard streicht Richardis über das Rabenhaar, nennt sie ihre geliebte Tochter. Menschen können einander kennen, sodass sie den Blick des anderen mit geschlossenen Augen spüren. Richardis trinkt von dem Licht, ihr reines Herzstrahlt durch die Brust. Ihre Glieder sind schmächtig und weich, ihre Hände schlank. Hildegard arbeitet gut und ruhig mit ihr an ihrer Seite. Um ihren Kopf soll die erste Goldkrone funkeln. Richardis, Christi schönste Braut.
 

 

7
      
Hildegard erwacht vor dem Morgengrauen. Sie hat Kopfschmerzen und will den Goldschmied aufsuchen, sobald es möglich ist. Sie will wieder zurück in ihr eigenes Kloster. Während der Nacht begriff sie, wodurch sie in Gedanken gesündigt hatte. Richardis hängt wie eine Klette in ihren Gedanken, ist in ihnen, kleine krumme Widerhaken überall dort, wo sie sie nicht erreichen kann, um sie abzustreifen.
    »In meiner Einsamkeit«, flüstert sie mit gefalteten Händen, »habe ich hochmütig geglaubt, du schicktest mir Richardis, sodass sie meine geliebte Tochter sein könne. Aber wie kann ich mich einsam fühlen, wenn du mich doch nie verlässt, Herr? Wie kann ich den Drang zu reden verspüren, wenn deine Worte für alle Zeiten in den heiligen Schriften erklingen?«
    Die Werkstatt des Goldschmieds liegt hinter dem Kloster, südlich der Kirche zwischen dem Backhaus der Brüder und der Brauerei auf der einen und dem Grobschmied auf der anderen Seite. Der Goldschmied ist kein Ordensbruder, er wohnt mit Frau und Kindern hinter der Werkstatt. Hildegard wird von Bruder Heine und einem der Brüder aus dem Kloster begleitet, einem jungen blonden Mann, der mit seiner Erscheinung Zeugnis dafür ablegt, dass man in diesem Kloster Mäßigung nicht sonderlich schätzt.
    Vor der Schmiede hat sich eine Schar Frauen und Männerversammelt. Sie warten auf Hildegard, sie strecken die Hände nach ihr aus und flehen um ihren Segen. Der blonde Mönch stößt sie grob zurück, und Hildegard weist ihn zurecht, als sich die Tür zur Werkstatt hinter ihnen geschlossen hat.
    »Diese Menschen suchen Erlösung«, sagt sie scharf, »und ihr schlagt nach ihnen, als seien sie Hunde.«
    Dem fremden Bruder steigt die Hitze in die Wangen. Er blickt geradewegs ins Feuer und verteidigt sich nicht.
    Es ist nicht schwer, mit dem Goldschmied darüber einig zu werden, wie die Arbeit ausgeführt werden soll, und Hildegard kann es sich nicht verkneifen zu fragen, was schiefgegangen ist, als vom Disibodenberg die Botschaft mit ihren Anweisungen kam. Der Schmied sieht weg und zuckt mit den Schultern, offenbar hält er nicht viel davon zu antworten.
    »War es böser Wille oder mangelnde Fähigkeit?«, fragt Hildegard direkt, um ihm auf die Sprünge zu helfen.
    »Nein, böser Wille war es gewiss nicht«, flüstert der Schmied, ohne aufzublicken, und Hildegard nickt. Nun ist sie selbst nach Trier gereist, und es gibt keinen Grund, noch weiter darin zu bohren. Wenn ein Bote ihres eigenen Klosters gegen sie arbeitet, wird sie das Problem ohnehin nicht mit einem fremden Schmied lösen können. Stattdessen will sie die Steine auswählen, mit denen die Kronen verziert werden sollen. Der Goldschmied öffnet seinen Schrein, in dem die Steine in

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