Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Lise Marstrand-Jørgensen
Vom Netzwerk:
Jungfrau war, als sie ins Kloster kam. Ihr schwarzes Kleid unter den weißen Gewändern wird die Schwestern und die Gemeinde daran erinnern, dass Jungfräulichkeit eine unschätzbare Gabe ist, und zeigen, wie schnell sie verraten werden kann.
    Als sie bei dem Goldschmied fertig sind, ist Hildegard erleichtert. Er hat versprochen, die Kronen im Laufe des Sommers fertig zu haben, sodass die Frauen sie am Geburtstag der Jungfrau Maria im September tragen können.
    Sie will sogleich aufbrechen, aber Bruder Heine sagt, sie könnten Disibodenberg unmöglich erreichen, bevor es Abend wird. Trotz allem hat Hildegard weniger Lust, in einer zufälligen Herberge zu übernachten, als noch eine Nacht in Trier zu verbringen. Sie nimmt an der Messe teil und zieht sich anschließend auf ihr Zimmer zurück. Zum ersten Mal seit langer Zeit wird sie von Ruhe und Freude durchströmt und hat keine Schwierigkeiten, sich voll und ganz auf das Gebet zu konzentrieren.
    Am nächsten Morgen ist ein fürchterlicher Radau vor Hildegards Kammer zu hören. Sie denkt nicht, dass es etwas mit ihr zu tun hat, faltet vorsichtig den Reisealtar zusammen und macht sich für die Abreise bereit. Sie will nicht nach draußen gehen, bevor der Wagen bereitsteht und nach ihr geschickt wird.
    Es klopft an die Tür, und jemand rüttelt ungeduldig am Griff.
    »Mutter Hildegard?« Ein Mann ist auf der anderen Seite der Tür. Wieder drückt er den Griff, aber der Riegel versperrt die Tür.
    »Ich bin Hildegard vom Disibodenberg, aber wer bist du?« Sie presst die Hände auf die Brust, um ihr galoppierendes Herz zu beruhigen.
    »Ich bin Ewald von Echternach, du kennst mich nicht, aber ich habe wie alle im ganzen Reich von dir gehört, und ich brauche deine Hilfe.«
    »Ich kenne weder deinen Namen, noch weiß ich, ob deine Absichten reinen Herzens sind«, sagt sie und stellt sich ganz dicht an die Tür. »Und dennoch bittest du eine Jungfrau, dich in ihrer Kammer zu empfangen?«
    Auf der anderen Seite der Tür wird es still. Es raschelt und rumort da draußen. Jemand hustet, ein Kind heult.
    »Ich bin nicht der Einzige, der gekommen ist, Mutter Hildegard«, sagt er. »Leute sind von überall aus der Gegend gekommen. Wir warten allesamt auf deinen Segen.«
 

 

8
      
Hildegard begrüßt nicht einmal ihre Schwestern, bevor sie in der Dämmerung zum Haus des Abts stürzt. Sie klopft ein paar Mal an die Tür, erst dann wird geöffnet, und obwohl der Diener sie bittet, im Vorraum zu warten, hört sie nicht auf ihn und geht geradewegs ins Arbeitszimmer. Abt Kuno steht von seinem Tisch auf, ist verwirrt, macht verblüfft eine fragende Handbewegung.
    »Warum hast du es mir nicht erzählt?«, fragt sie. Sie trägt immer noch den Umhang, bis zur Brust kleben graue Sprenkel von Schlamm darauf.
    »Warum hast du mich in Unwissenheit gelassen wie ein Kind? Wie kannst du zulassen, dass ich der Welt unvorbereitet und wie ein Dummkopf begegne? Warum hast du nicht gesagt, wie schlimm es steht?«
    Der Abt ist vollkommen unvorbereitet. Er denkt nur daran, diesen Redeschwall zu bremsen.
    »Hildegard«, sagt er wütend, »was ist das für eine Art, hier hereinzustürmen und mich auf diese Weise zu stören?«
    Sie hebt zwei geballte Fäuste, und er muss sich beherrschen, um nicht zu lachen. Sie geht ihm bis zum Kinn, plustert sich aber auf wie ein streitlustiger Hahn.
    »Hol Volmar«, sagt er zu dem glotzenden Diener, der immer noch in der Tür zum Arbeitszimmer des Abts steht. »Und du, Hildegard, setzt dich hin und erklärst mir in Ruhe, was geschehen ist.«
    Ausnahmsweise setzt sie sich tatsächlich. Sinkt auf dem Stuhl zusammen und sagt kein Wort. Erst als der Diener wieder herbeigeeilt kommt, gefolgt von Volmar, bricht sie ihr Schweigen und schluchzt hemmungslos. Volmar sieht den Abt fragend an, der die Augen verdreht und sich an den Kopf fasst. Dann kniet Volmar sich vor Hildegard auf den Boden und umfasst ihren Arm.
    Bei seiner Berührung beruhigt sie sich, er legt zwei Finger an ihr Handgelenk und gibt vor, seine Arbeit als Heilkundiger zu tun. Er zählt nicht die Pulsschläge, versucht nur, Hildegards Blick aufzufangen.
    »Es ist aufwühlend, nach so vielen Jahren hinaus in die Welt zu kommen«, sagt der Abt freundlich und setzt sich. »Zuallererst war das der Grund, weshalb ich nicht wollte, dass du die Reise antrittst«, sagt er. »Es ist nicht dienlich, die Sinne so plötzlich dem Treiben der Welt auszusetzen, darin wird mir Volmar, so glaube ich, recht geben«, fährt er

Weitere Kostenlose Bücher